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Der Deutsch-Französische Krieg und seine Auswirkungen auf den Kolonialismus

Abstract: Die Geschichte des Kolonialismus hat Nachwirkungen bis in die Gegenwart; Nachwirkungen im Nahen Osten, in Afrika und auch in Asien. Gerade mit Blick auf die Krisenherde in der arabischen Welt und nach mehr als 75 Jahren Bestehen der Arabische Liga, die nach dem Ende des Kolonialismus eingerichtet wurde, muss die Frage erlaubt sein: Welche Ursachen hatte vor allem die deutsche und die französische Kolonisation einiger Regionen in Afrika und der arabischen Hemisphäre im Vergleich?

Problemdarstellung: Wie wirkte sich die Niederlage Frankreichs 1871 auf den Kolonialismus des 19. Jahrhunderts aus?

Bottom-line-up-front: Es war gerade die französische Kolonialpolitik, insbesondere in Afrika, aber auch in Asien, die zu den heutigen krisenbehafteten Regionen in den afrikanisch-asiatischen Gebieten führte. Diese Regionen wurden nun wieder zum umkämpften Ressourcenmarkt.

Was nun?: Es gilt zu verhindern, dass nicht neue Regionalmächte, wie beispielsweise China oder die Türkei, die ehemaligen Kolonialstaaten im Sinne einer modernen Austradierungspolitik erneut ausbeuten und zusätzlich destabilisieren.

Statue von Otto von Bismarck

Source: shutterstock.com/Takashi Images

Mehr als nur Landnahme

Als Kolonisation bezeichnet wird zunächst ein Prozess der Landnahme.[1] Der Begriff impliziert jedoch auch eine gesellschaftspolitische (Neu-)Ordnung, die aus dem damaligen völkerrechtlichen Verständnis heraus durch den entstandenen, oktroyierten gesellschaftlichen „Personenverband“ erwuchs. Daraus ist abzuleiten, dass auch ein bestimmtes Herrschaftsverständnis, eine Hierarchie, mit diesem Begriff verbunden ist, das spezifische Verhältnisfaktoren zwischen Herrscher und Beherrschten definierte. Hieraus ist auch der Terminus der Expansion abzuleiten, in der eine Gesellschaft über ihren geographisch-determinierten Raum hinaus Herrschaftsansprüche stellt.[2] Hierbei ist klar festzuhalten – und dies ist für die Militärhistorie unabdingbar – dass der Begriff der Kolonie nicht einfach mit der Umschreibung einer militärischen Okkupation gleichzusetzen ist, da er mit der Tatsache verbunden ist, dass es sich um eine Okkupation kultureller Divergenz handelt.[3]

Hierbei ist klar festzuhalten, dass der Begriff der Kolonie nicht einfach mit der Umschreibung einer militärischen Okkupation gleichzusetzen ist, da er mit der Tatsache verbunden ist, dass es sich um eine Okkupation kultureller Divergenz handelt.

Kolonien entstanden durch Invasionen in oder einen Friedens- beziehungsweise auch Kaufvertrag zu einem geographischen Raum, der gesellschaftlich in der Folge verändert wurde. Dieser Raum wird in der Folge in ein transformiertes politisches wie soziokulturelles Gebilde überführt und dann in ständige Abhängigkeit zum neuen Herrschaftsakteure gesetzt.[4] Sonach ist Kolonialismus eine herrschaftliche Beziehung von Kollektiven, in dem die Entscheidungen über die Lebensführung der kolonialisierten Mehrheitsbevölkerung durch externe Interessen der Minderheitsgruppe getroffen werden.[5] In der neueren Geschichte – und insbesondere auch Militärgeschichte – ist das Fundament dieser kollektiven unterschiedlichen Herrschaftsbeziehungen meist mit einer Ideologie der Überlegenheit verbunden, die die Kolonialherrscher ausstrahlten.[6]

Das europäische System und die transnationale Ausdifferenzierung in der Kolonialfrage im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert

Bereits kurz nach dem Ersten Weltkrieg stellte der französische Ökonom Arthur Girault fest, dass die Welt etwa zur Hälfte aus Kolonien bestünde.[7] Rund 600 Mio. Menschen waren es demzufolge, die nach dem ersten globalen Krieg einer kolonialen Herrschaft unterstanden, also ein Fünftel der damaligen Weltbevölkerung.[8] Das Deutsche Kaiserreich sah bis zum Ende des Ersten Weltkrieges – und dem damit verbundenen Verlust seiner kolonialen „Besitztümer“ – Kolonialismus als Teil der Weltpolitik, aber auch der Weltwirtschaft an.[9]

Die frühe Globalisierungsphase des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts war im Grunde genommen politisch als auch strukturell machtpolitisch spezifiziert.[10] Ab 1880 war man deutscherseits, insbesondere aber auch von französischer Seite seit der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 und des militärischen Fiaskos in Mexiko der Auffassung, dass die zunehmende wirtschaftliche Interdependenz den Freihandel befördere und dies nicht nur aus handelspolitischer Sicht, sondern insbesondere auch im Sinne der Arbeitsteilung auf nationaler als auch auf internationaler Ebene. Dies führte zugleich zu verstärkter wirtschaftsstruktureller Konkurrenz.[11] Hieraus entwickelte sich sowohl von Seiten des Deutschen Kaiserreichs als auch Frankreichs ein politisch-imperialer Gestaltungsanspruch. Der Unterschied zu Frankreich jedoch liegt darin begründet, dass das Kaiserreich der 70er Jahre des 19. Jahrhunderts nach einer ökonomisch wie soziokulturellen Einigung suchte und damit auch die Frage nach weltpolitischer Geltung verband.[12]

Neben der Handelsvertragspolitik insbesondere Caprivis (Leo von Caprivi, preußischer Offizier, Nachfolger Bismarcks als Reichskanzler von 1890 bis 1894), welche auch die deutschen Kolonien implizierte, lenkte die Debatte auf die Einbindung des Deutschen Kaiserreichs in den Weltmarkt und damit auch auf dessen Rolle auf der weltpolitischen Bühne zwischen Expansion, Freihandel und Protektionismus. Gerade Frankreich definierte sich eher als Freihandelsnation, während das Kaiserreich während des Einigungsprozess eher zu einem Zollregime neigte, wobei es dadurch entstehende Nachteile durch eine Kolonialpolitik zu kompensieren suchte.[13] Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass die Flottenfokussierung ab 1880 auf deutscher Seite als Teil der Kolonialbestrebungen gesehen und definiert wurde, wobei die französisch-kolonialen Expansionen eher als Kompensation für den europäischen Machtverlust ab 1871 zu erklären sind.[14]

Gerade Frankreich definierte sich eher als Freihandelsnation, während das Kaiserreich während des Einigungsprozess eher zu einem Zollregime neigte, wobei es dadurch entstehende Nachteile durch eine Kolonialpolitik zu kompensieren suchte.

Kolonien wurden sowohl von Frankreich, als auch Deutschland, im Übrigen auch von Großbritannien und Italien und teilweise sogar den USA und Japan als profitable Absatzmärkte gesehen und dementsprechend auch in der nationalen Propaganda als weltpolitisch notwendig projektiert. Es ging um einen „Kampf“ der nationalen Größe innerhalb divergierender und konkurrierender Interessenslagen.[15] Damit bewegte sich das Kaiserreich zwischen Nationalisierung, also der Vereinheitlichung staatlicher Institutionen und politischer Denkweisen nach innen, und transnationaler Transformationen über den Nationalisierungsprozess hinaus. Selbiges galt auch für Italien.[16] Diesen Fragen musste sich das post-napoleonische Frankreich ab 1871 nicht stellen, dafür jedoch den politischen Wirrungen, die aus der Niederlage von 1871 entstanden waren. Dies führte letztlich auch zu einer verstärkten Expansion in Übersee.[17]

Gerade Reichskanzler Bismarck war interessiert, ein europäisches System zu determinieren, welches zugleich eine globale Struktur erhalten sollte. Hierzu zählte auch die „Aufteilung der Welt“ in Interessenräume.[18] Bismarck erkannte daher sehr früh, dass Frankreich durchaus eine Kompensation zur Stabilisierung erhalten “müsse“, um seine Verluste im deutsch-französischen Krieg zu kompensieren. Daher hielt er sich auch mit Ansprüchen auf Kolonien zunächst zurück.

Die Berliner Konferenz von 1884/85, bekannt auch als „Kongokonferenz“, bei der sich die Vertreter der europäischen Mächte, der USA und des Osmanischen Reiches trafen, machte das imperiale System Europas mehr als deutlich, wobei es zugleich um die Balance der Machtsphären in Afrika und Asien ging. Insbesondere Großbritannien und Frankreich erhielten auf dieser eurozentrischen Konferenz weite Gebiete Afrikas, die sie noch nicht okkupiert hatten. Das Deutsche Reich beanspruchte mit dem heutigen Togo, Namibia, Tansania und Kamerun für sich nur einen vergleichsweise geringen geographischen Raum, was auch das globale Gleichgewichtskonzept Bismarcks verdeutlicht, welches jedoch nicht weniger machtorientiert war.[19]

Die Berliner Konferenz von 1884/85, bei der sich die Vertreter der europäischen Mächte, der USA und des Osmanischen Reiches trafen, machte das imperiale System Europas mehr als deutlich, wobei es zugleich um die Balance der Machtsphären in Afrika und Asien ging.

Interessant erscheint dabei, dass bereits 1883 sowohl Bismarck wie auch der Chef der Deutschen Admiralität gegen den Besitz von Kolonien waren, weil sie das europäische Gleichgewicht nicht gefährden wollten.[20] Das Kaiserreich hielt sich ebenso zu Zeiten des Hochimperialismus aus kolonialen Wettlauf, weil Mächte wie Großbritannien, Portugal, Belgien und gerade Frankreich sich in machtpolitischen Disparitäten ab 1881 befanden und die Seemacht Großbritannien grundsätzlich ab 1884 in Kolonialfragen politisch isoliert war. Insofern war die Berliner Afrikakonferenz 1884/85 auch eine anti-britische Ausrichtung zu Gunsten Deutschlands und Frankreichs. Damit hatte Bismarck auch die anti-deutschen Haltungen, die aus dem Nationalisierungsprozess entsprungen waren, zeitweise aufgelöst.[21]

Frankreich indes suchte nach dem Schock von 1871 den machtpolitischen Anschluss, wobei es schon damals ungefähr einen Millionen Quadratkilometer Kolonialbesitz mit 5,4 Mio. Einwohnern beherrschte. Neben dem Department Algerien zählten Tunesien (ab 1881), große Teile Asiens und kleinere Inseln im Atlantik zum Besitz Frankreichs. Durch Exporte im Wert von 700 Mio. Franc (1872), davon 60% alleine aus Algerien, refinanzierte sich Frankeich von seinen Kriegsverlusten und konnte sich weiter durch die zugeteilten Gebiete 1884/85 und 1918/19 im Nahen Osten bereichern.[22]

Verbunden bis heute

Gerade die französische Geopolitik des 20. und 21. Jahrhunderts macht deutlich wie verbunden Frankreich noch mit ihren ehemaligen Kolonien ist. Die aktuellen militärischen Operationen in der Sahel-Zone, hier insbesondere in Mali, machen dies mehr als deutlich. Für die historische abschließende Betrachtung jedoch ist eines klar: Bismarck und teilweise Caprivi gelang es durch eine europäische Austradierungspolitik von Interessen das europäische Gleichgewicht in Bezug auf die Kolonialfrage zu erhalten. Dies machte auch die Berliner Konferenz 1884/85 offensichtlich. Trotzdem wurden hier Krisenherde geschaffen, deren Auswirkungen bis in die heutige Zeit reichen.

Ilya Zarrouk, Jahrgang 1981, studierte Neuere Geschichte, Wirtschafts -und Sozialgeschichte und Politikwissenschaft in Mannheim, Heidelberg und Tunis. Zarrouk ist seit 2013 Dozent an verschiedenen Abendakademien im Rhein-Neckar-Raum, wo er zu sicherheitspolitischen und militärpolitischen Fragen referiert. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors.

[1] Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 16-20, (München, 1997).

[2] Ibid., 19-25.

[3] Dieter Gosewinkel, Rückwirkungen des kolonialen Rassenrechts? Deutsche Staatsangehörigkeit zwischen Rassenstaat und Rechtsstaat, in: Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, hrsg. v. Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel, (Göttingen 2006), 236-255; Siehe hierzu auch: Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert, (München 1996).

[4] Idem.

[5] Jürgen Osterhammel, Kolonialismus. Geschichte, Formen, Folgen, 19-27, (München 1997).

[6] Susanne Kuß, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, (Berlin, 2010), 183-198.

[7] Jean Meyer, Histoire de la France coloniale des origines à 1914, 455-456.

[8] Idem.

[9] Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, (München, 2006), 41-50.

[10] Idem.

[11] Michael Epkenhans, Der deutsch-französische Krieg 1870/1871, (Ditzingen, 2020), 20-23; auch: Jean Meyer, Histoire de la France coloniale des origines à 1914, 537-543.

[12] David Blackbourn, Das Kaiserreich transnational. Eine Skizze, 302-307, in: Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, hrsg. v. Sebastian Conrad und Jürgen Osterhammel, (Göttingen 2006), 236-246.

[13] Sebastian Conrad, Globalisierung und Nation im Deutschen Kaiserreich, (München, 2006), 41-50.

[14] Guido Thiemeyer, Otto von Bismarck und die Internationalisierung der Wirtschaft, in: Realpolitik für Europa, Bismarcks Weg, hrsg. v. Ulrich Lappenküper/ Karina Urbach, (Paderborn 2016), 185.

[15] Idem.

[16] Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts, (Frankfurt a. Main, 1996), 44-49.

[17] Michael Epkenhans, Der deutsch-französische Krieg 1870/1871, (Ditzingen, 2020), 20-23; auch: Jean Meyer, Histoire de la France coloniale des origines à 1914, 537-543.

[18] Guido Thiemeyer, Otto von Bismarck und die Internationalisierung der Wirtschaft, in: Realpolitik für Europa, Bismarcks Weg, hrsg. v. Ulrich Lappenküper/ Karina Urbach, (Paderborn 2016), 185.

[19] Tanja Bührer, Bismarck und der Scramble of Africa. Von einer „hybriden Art der Verantwortung“, in: Realpolitik für Europa, Bismarcks Weg, hrsg. v. Ulrich Lappenküper/ Karina Urbach, (Paderborn 2016), 185-191.

[20] Idem.

[21] Idem.

[22] Jean Meyer, Histoire de la France coloniale des origines à 1914, 537-543.

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