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Führung 2021+

Abstract: Das Projekt “Future Leadership” war eine multinationale Initiative unter Führung des German Institute for Defense and Strategic Studies (GIDS) und dem Development, Concepts and Doctrine Centre (DCDC) in Shrievenham, UK, im Rahmen der Multinational Capability Development Campaign 2019/2020. Dabei wurde untersucht, wie sich die in verschiedenen multinationalen Zukunftspapieren geäußerten Beobachtungen und Zukunftsvisionen:

  • ständig zunehmende Komplexität des operativen Umfeldes;
  • Umgangs mit Big Data, künstlicher Intelligenz (KI/AI) und der damit verbundenen möglichen Autonomie von Maschinen, die zu Veränderungen der Mensch-Maschine Schnittstelle führt;
  • „Grauzonen“, die beim fahrlässigen oder vorsätzlichen Unterlaufen der durch die UN-Charta rechtlich klar abgegrenzten Rechtszustände von Frieden und Krieg sowie aus der mit der zunehmenden Komplexität verbundenen höheren Volatilität, Unsicherheit und Ambiguität entstehen,

auf die Anforderungen an militärische Führungskräfte auswirken werden.

Bottom-line-up-front: Das Industriezeitalter und damit die dort gültigen Rahmenbedingungen für Führung, wie Stabilität des Umfelds, prozessbasierte Abläufe und Kontrolle müssen neu überdacht werden, da zunehmende Komplexität des Umfeldes Konsequenzen für das Führen nach sich ziehen. In diesem Zusammenhang muss sich folglich auch der Begriff des Denkens in den Streitkräften zu einer gleichermaßen kreativen wie auch kritischen Fähigkeit weiterentwickeln.

Problemdarstellung: “What are the impacts on military leadership, if the predictions as stated in various Future Operating Environment documents will come true?”

Was nun?: Mit dem auf das „Warum“ ausgerichteten Ansatz der Auftragstaktik statt des deutlich einfacheren „Wie“ Ansatzes der Befehlstaktik ist die Auftragstaktik der ideale Rahmen für die Nutzung der Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Weiterentwicklung der Mensch-Maschine Schnittstellen. Dies bedarf aber auch, dass neue Formen des Vertrauens formuliert und ausgebildet werden.

Source: shutterstock.com/Panchenko Vladimir

Was Sie über KI im Einsatz wissen sollten, aber nie gefragt haben oder worüber Sie nachgedacht haben sollten, bevor Sie in einer komplexen Grauzonen-Operation führen.

Future Operating-Environment – Der Ansatz

Future-Operating-Environment Dokumente werden national und international mit wissenschaftlichen Methoden , wie beispielsweise der Szenario-Entwicklung oder der Trendanlyse, zur strategischen Vorausschau für die Streitkräfteplanung erarbeitet. Dabei werden, neben Erkenntnissen aus gesammelten Lessons Learned aus laufenden oder beendeten Einsätzen, auch externe gesellschaftliche und technologische Impulse für die (Weiter-)Entwicklung militärischer Fähigkeitsprofile berücksichtigt. Damit können bestehende militärische Fähigkeiten auf ihre zukünftige Relevanz überprüft und neue, bislang fehlende Fähigkeiten identifiziert werden.

Bei der Analyse der Future-Operating-Environment Dokumente der Projektnationen wurden mit Bezug zu Führungsaspekten / -fragen drei gemeinsame Trends (Komplexitätszuwachs, Umgang mit neuen Technologien und Grauzonen durch hybride Bedrohungen) erkannt, die dann weiter untersucht wurden. Hierzu wurden Wissenschaftler und Experten eingeladen, ihre aktuellen Forschungen in diesen Themenbereichen vorzustellen und mit dem Projektteam in moderierten Design Thinking Sessions[1] diskutiert. Interesseleitend war dabei stets die Frage, was das Angesprochene konkret für militärische Führungskräfte bedeutet.

Komplexität als Führungsherausforderung

Um grundsätzliche Ableitungen zur militärischen Führung im 21. Jahrhundert treffen zu können, gilt es vorab das Handlungsumfeld selbst zu beschreiben. In diesem Zusammenhang widmet sich „Future Leadership 2020“ in einem ersten Schritt dem aktuellen Charakter von Konflikten. Diese sind durch einen sich beschleunigenden Wettbewerb zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren und einem nicht erkennbaren Ende gewaltsamen Extremismus, der zu zunehmender Instabilität mit extremen Veränderungsgeschwindigkeiten führt, geprägt. Dies mündet in komplexen und üblen (auf Englisch: wicked) Problemstellungen, die mit herkömmlichen Methoden nicht mehr gelöst werden können. Diese veränderten Rahmenbedingungen können darüber hinaus auch durch ein durch Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität[2] sich permanent wandelndes militärisches Einsatzumfeld entstehen. Diese veränderten Anforderungen führen dazu, dass selbst erfahrene Führungskräfte überfordert werden und feststellen, dass bewährte Problemlösungsstrategien nicht mehr ausreichend sind und erfordern personelle, organisatorische und technische Lösungsunterstützungen.

Dies Komplexitätsproblem wird durch gegnerische hybride Aktivitäten noch weiter verstärkt, bei denen die bisherige scharfe Trennung zwischen Frieden und Krieg aufgehoben ist, so dass militärische und zivile Führungskräfte in einem deutlich erweiterten Aufgabenspektrum sowohl miteinander als auch füreinander arbeiten können müssen.

Big Data, das unter anderem aus einer ständig wachsenden Anzahl an Sensoren und Aufklärungsergebnissen entsteht, muss permanent analysiert und in Entscheidungen einbezogen werden. Hierzu werden zeitnah Technologien der künstlichen Intelligenz ihre Anwendung finden, die militärische Führungskräften in ihren Fähigkeiten unterstützen „eine komplexe Lage zu verstehen“. Dies lässt sich nur mit (zukünftigen) Führungskräften realisieren, die im hohen Maße kognitiv agil und adaptiv sind.

Damit bleibt die Frage was unter Führung im Allgemeinen, und vor allem unter militärischer Führung, tatsächlich zu verstehen ist.

Leadership, Command und Management

Hierzu wird Führung in Leadership, Command und Management aufgeteilt. Leadership ist der motivatorische Anteil im Sinne eines „Folge mir“, Command der funktionale Anteil im Sinne eines „Lasst uns voran gehen“ und Management die dazu notwendigen Prozesse und Verfahren.

Während Command kraft Amtes verliehen wird, basiert Leadership zu einem hohen Maße auf psychologischen Eigenschaften der Führungskraft und ihrer Beziehung zu den Geführten, und dabei vor allem auf Vertrauen. Bisher „gültige“ Narrative eines „Heroic Leaders“, die insbesondere durch literarische „Sieger“ – Darstellungen häufig überzeichnet wurden, eignen sich nicht für die Lösungen komplexer Probleme. Hier müssen neue Bilder gesetzt werden, beispielsweise jenes des militärischen Führers als Gärtner, welches General McChrystal in seinem Buch „Teams of Teams“ zeichnete. Im Sinne der Auftragserfüllung spielt heute bei „guter“ Führung gerade in westlichen Demokratien neben dem Effizienzkriterium auch die moralisch angemessene Auftragserfüllung eine besondere Rolle. Des Weiteren komprimieren aktuelle und erwartbare moderne Informationstechnologien durch die permanente Echtzeitkommunikation die bisherigen, auch organisatorisch getrennten, Stufen der strategischen, operativen und taktischen Ebene zumindest virtuell auf eine einzige Ebene, was in ihrer positiven Ausgestaltung eine Beschleunigung, in einer negativen Ausgestaltung Vertrauen zerstörendes Micro-Management bedeuten kann. Dem kann mit einer entsprechenden Organisationsphilosophie entgegengewirkt werden, die im Militärischen mit der deutschen Auftragstaktik vorliegt. Die Philosophie der Auftragstaktik und die unterliegenden Grundsätze wie Vertrauen, Ermächtigung Unterstellter, pro-aktives Verhalten, kritisches Denken, der Wille Autorität und Entscheidungsbefugnisse zu delegieren sowie die Bereitschaft die Initiative zu ergreifen zeigen deren uneingeschränkte Anwendbarkeit für aktuelle und kommende „VUCA-Herausforderungen“, da mit ihr als von unten nach oben aufwachsender Führungsphilosophie Probleme tatsächlich dort gelöst werden, wo sie auftreten. Darüber hinaus bietet sie auch effektive Möglichkeiten zum Umgang mit modernen KI basierten Technologien.

Im Sinne der Auftragserfüllung spielt heute bei „guter“ Führung gerade in westlichen Demokratien neben dem Effizienzkriterium auch die moralisch angemessene Auftragserfüllung eine besondere Rolle.

Leading in the Future Environment

Die bisher geltenden Paradigmen des Industriezeitalter und damit die dort gültigen Rahmenbedingungen für Führung, wie Stabilität des Umfelds, prozessbasierte Abläufe und Kontrolle müssen für das Future Environment überdacht werden, da zunehmende Komplexität des Umfeldes Konsequenzen für das Führen nach sich zieht. In diesem Zusammenhang muss sich folglich auch der Begriff des Denkens in den Streitkräften zu einer gleichermaßen kreativen wie auch kritischen Fähigkeit weiterentwickeln. Im Kontext der Eigenschaften von Big Data (Umfang, Korrektheit und Umsetzungsgeschwindigkeit) wird das Thema der Künstliche Intelligenz als neuer führungsrelevanter kognitiver Mensch-Maschine Schnittstelle zwangsläufig thematisiert. Wo Datenvolumen Menschen an ihre Leistungsgrenzen bringen, müssen Prozesse im Sinne der Digitatlisierung, Autonomisierung und Automatisierung zumindest unterstützt werden, um den Anforderungen des Gefechtsfeldes gerecht werden zu können. In diesem Zusammenhang gilt es auch, gruppendynamische Prozesse und intrapersonnelle Aspekte und Anforderunge des Führen in komplexen Szenarien zu beschreiben, um holistische Ableitungen treffen zu können. Hierzu werden unter anderem Führungsstile, Persönlichkeitsmerkmale und Herausforderungen wie Stress und Resilienz dargestellt. Damit jedoch noch nicht genug mit den Anforderungen an den militärischen Führer. Die Bewältigung von Komplexität erfordert ein Mindestmass an notwendiger gedanklicher Agilität und Adaptivität, sowohl in der individuellen als auch organisatorischen Perspektive, um die militärischen Herausforderungen im hybriden oder subthreshold Umfeld bewältigen zu können. Dabei sind die besondere Relevanz der Charakteristika von Auftragstaktik gerade in der Bewältigung von cross domain Problemen hervorgehoben.

KI im Kontext der Führung

Künstliche Intelligenz vermag den limitierenden Faktor „Mensch“ in vielerlei Hinsicht zu unterstützen oder gar zu entlasten. Dies führt zwangsläufig zur Frage der Nutzung autonomer Systeme, deren Möglichkeiten und den entsprechenden ethischen Herausforderungen. Hierzu wurden unter anderem im Rahmen der NATO Ansätze wie meaningful und effective humand control diskutiert. Da potenzielle Gegner diesen auf westlichen Moral und Ethikvorstellungen beruhenden Überlegungen nicht unbedingt folgen werden, kann eine unterschiedliche Nutzung von KI zu weiteren Asymmetrien führen, die sich gegebenenfalls auch als echte militärische Nachteile erweisen können.

Im Bereich der Entscheidungsunterstützung werden die mit dem Einsatz von KI verbundenen Risiken hinsichtlich Vertrauen, Abhängigkeit sowie möglicher Barrieren zwischen Führern und Geführten offensichtlich. Auch das Risiko, dass zukünftige Führungskräfte nicht mehr den Raum erhalten, aus eigenen Fehlern zu lernen, da diese sofort von KI kompensiert werden, wird sich möglichweise negativ auswirken. Unter der Annahme, dass die Auftragstaktik auch auf die Autonomie der Systeme erweitert werden kann, ergibt sich der Bedarf einer organisatorischen Führungskultur, die verbindlich „human control“ definiert und dieses auch umsetzt. Mit dem Konzept der „Effective Human Control“ können Risiken wie „Unterausnutzung“, „zu großes Vertrauen“ oder „humane Substitutionsmöglichkeiten“ diskutiert werden. Desweitern muss abschließend geklärt sein, wie die operative Nutzungsautorität geregelt wird, um ein fremdgesteuertes externes „technisches“ Micro-Management in einem „System of System“ zu verhindern.

Mit dem Konzept der „Effective Human Control“ können Risiken wie „Unterausnutzung“, „zu großes Vertrauen“ oder „humane Substitutionsmöglichkeiten“ diskutiert werden.

Von der Theorie zur Praxis – mögliche Ableitungen für die Bundeswehr

1813 schrieb Carl von Clausewitz in seinem Nachruf über General von Scharnhorst folgendes, mit denen er dessen Werk der Preußischen Heeresreformen[3] zusammenfasste:

  1. Eine der neuen Kriegsart entsprechenden Eintheilung, Bewaffnung und Ausrüstung.
  2. Veredelung der Bestandteile und Erhebung des Geistes.
  3. Eine sorgfältige Auswahl derjenigen Offiziere, welche an die Spitze der größeren Abteilungen gestellt wurden.
  4. Neue der heutigen Kriegsart angemessenen Übungen

Sieht man es pragmatisch, sind diese vier Ableitungen auch mit Bezug auf die mit Future Leadership 2021 beschriebenen Herausforderungen generell nutzbar und ließen sich wie folgt umsetzen:

  1. Flachere Hierarchien, kleinere, aber agilere und adaptiverer Verbände, Bewaffnung mit modernen, auch autonomen Waffensystemen und KI-Unterstützung. Falls dies ethisch nicht gewünscht wird, muss zumindest sichergestellt werden, dass entsprechende Counter Systeme verfügbar sind.
  2. Ausbildung der Führungskräfte in den Bereichen Adaptivität, kritisches und kreatives Denken sowie Anwendungen Künstlicher Intelligenz auch im Rahmen komplexer Gefechtsaufgaben.
  3. Überprüfen des Kompetenzmodells der Bundeswehr hinsichtlich dessen Validität bezüglich Adaptivität, Umgang mit komplexen Fragestellungen, Agilität beispielsweise der Kompetenz bestehendes Wissen zugunsten neuer Entwicklungen in Fragestellen zu können[4].
  4. Bestehende Übungen müssen über den Anteil der Zertifizierungen für bestimmte Operationen oder Einsätze, also „Könnungen“, zukünftig auch wieder freilaufende Anteile haben, die die dabei eingesetzten Führungskräfte der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität aussetzen, mit dem Ziel, dass sowohl Übungsanlegende als auch Teilnehmer dabei „lernen“: „Wer am natürlichsten, ruhigsten manöverierte, den Sinn der General-Idee am schnellsten auffaßte, die einmal gegebene Disposition am consequentesten durchführte, das Glück zu benutzen, das Unglück auszugleichen wußte, verdient vorzugsweise Beifall.“[5]

Basierend auf den Erkenntnissen aus dem Projekt Future Leadership 2020 lassen sich aus Sicht der Autoren noch weitere Empfehlungen ableiten:

Agilere und adaptivere SK bedeuten grundsätzlich flachere Hierarchien mit einem höheren Vernetzungsgrad

Die bestehenden Streitkräftestrukturen (und damit die Art wie darüber gedacht wird) sind in Teilen älter als 130 Jahre. Die russische Armee experimentiert seit mehreren Jahren mit sogenannten Bataillon Task Groups, bei denen entsprechend der zu bewältigenden Aufgabe beispielsweise Drohnen-, Eloka-, oder Artillerie-Züge einem Bataillon zugewiesen und von dort geführt werden. In den bisherigen Auslandseinsätzen der Bundeswehr wurden solche Verbände ebenfalls eingesetzt, in den Strukturen im Inland finden sie sich nirgends wieder. Agil und adaptiv bedeutet dabei nicht automatisch auch kleiner, es ermöglicht aber aus der Bewegung heraus, neue und alternative Formen aufgabenorientiert einzunehmen. Dies gilt es auch auszubilden, um die damit befassten Führungskräfte dazu tatsächlich zu befähigen.

Agil und adaptiv bedeutet dabei nicht automatisch auch kleiner, es ermöglicht aber aus der Bewegung heraus, neue und alternative Formen aufgabenorientiert einzunehmen.

Der derzeitige öffentliche Diskurs um die zukünftigen Strukturen der Bundeswehr[6] zeigt, dass in Deutschland derzeit noch nicht in neuen agileren oder adaptiveren Strukturen gedacht wird. Im Gegenteil, es werden meist nur Stäbe, Einheiten und Fähigkeiten entlang bestehender gedanklicher Korsettstangen, wie strategischer, operativer[7] und taktischer Ebene hin- und her geschoben.

Letztendlich steht und fällt aber alles damit:

(Zunehmende) Komplexität im Entscheidungsumfeld muss zunächst auch komplex erfasst und komplex gedacht werden, erst in der Umsetzung gilt es, die Komplexitäten aufzulösen.

Die existierenden Verfahren zur Auftragsauswertung spiegeln nicht die tatsächliche Komplexität der Herausforderungen in der Welt. Das bedeutet nicht, dass sie in sich falsch sind, sie führen aber bei der Anwendung zu nicht angemessenen, unterkomplexen Lösungen, die am Anfang zwar eingängig, in der Folge aber gegebenenfalls zu mehr Schaden als Wirkung führen, da sie Systemzusammenhänge nicht berücksichtigen und zu falschen Zielsetzungen, unvernetzter Situationsanalyse, einseitiger Schwerpunktbildung, unbeachtet lassen von Neben- und Fernwirkungen, sowie Tendenzen zur Übersteuerung und autoritärem Verhalten aufweisen.[8]

Methodengerecht angesetzt, ließen sich aus Sicht der Autoren viele der bestehenden Probleme, unter anderem auch im Rüstungsbereich, vielleicht nicht sofort auflösen, aber mindestens mit einer höheren Effizienz und vor allem einer besseren Effektivität moderieren. Dies gilt auch für die zukünftige Gefechtsführung im Rahmen von Multi-domain Operations (MDO). Einer der wissenschaftlichen Väter dieser neuen Operationsform, Alberts, erklärte während der Konferenz des NATO C2 Centre of Excellence zu MDO im November 2020, dass MDO nur mit MDO gekontert werden können. Dies verlangt dann aber, dass zukünftig alle militärischen Führer in allen Domänen (Luft, Land, See, Space und Cyber, prospektiv erweitert um eine Human Domain) die damit verbundene sich steigernde Komplexität verstehen und problemgerecht umsetzen können müssen.

(Mehr) Auftragstaktik wagen – jeder Auftragstaktiker führt mit Auftrag, aber nicht jeder Führer mit Auftrag ist ein Auftragstaktiker.

Auftragstaktik und das bis dato insbesondere im deutschen Heer bevorzugte Führen mit Auftrag sind nicht dasselbe. Das lässt sich historisch: Mit dem Exerzier-Reglement der Preußischen Infanterie von 1888 wurde ein „Auftragsverfahren“ erstmalig in einer Vorschrift postuliert. Der Begriff „Auftragstaktik“ wurde erst danach von einem Kritiker des Auftragsverfahren, Generalleutnants a.D. Albert von Boguslawski, geprägt, der in einem Aufsatz unter anderem fürchtete, dass die (damals gerade neu eingeführten) Brigadekommandeure durch diese neue Art der Führung weniger Freiheit des Handels als die ihr unterstellten Führer haben würden.[9] Dieses auf die Führungspersönlichkeit bezogene Denken führte zum „Führen mit Auftrag“, während Moltke d.A. selbst immer vom Untergebenen ausgegangen ist: „Als Regel ist festzuhalten, dass die Disposition alles das, aber auch nur das enthalten muß, was der Untergebene zur Erreichung eines bestimmten Zweckes nicht selbständig bestimmen kann.“[10]

Bei Übungen sind VUCA Elemente derart einzubinden, dass für deren Lösungen Vorgesetzte und Untergebene konkret kollaborieren müssen. Desweiteren müssen auch Lagen eingespielt werden, die Führungskräfte zu Entscheidungen unter moralischen und ethischen Aspekten zwingen. Mit dem auf das „Warum“ ausgerichteten Ansatz der Auftragstaktik statt des deutlich einfacheren „Wie“ Ansatzes der Befehlstaktik ist die Auftragstaktik der ideale Rahmen für die Nutzung der Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Weiterentwicklung der Mensch-Maschine Schnittstellen. Dies bedarf aber auch, dass neue Formen des Vertrauens[11] formuliert und ausgebildet werden.

Mit dem auf das „Warum“ ausgerichteten Ansatz der Auftragstaktik statt des deutlich einfacheren „Wie“ Ansatzes der Befehlstaktik ist die Auftragstaktik der ideale Rahmen für die Nutzung der Methoden der Künstlichen Intelligenz zur Weiterentwicklung der Mensch-Maschine Schnittstellen.

Damit muss das bisherige „Führen mit Auftrag“ als ganzheitlicher Auftragstaktik noch stärker als bisher mit dem Menschenbild der Inneren Führung verbunden werden, und die vertrauensbasierte Wechselbeziehung zwischen Führungskräften und Untergebenen noch stärker betont. Dies muss gegebenenfalls entsprechend ausgebildet werden. das Bild der „bislang“ allwissenden Führungskraft kommt durch die steigenden Komplexität notwendigerweise an ihre kognitiven Grenzen, Komplexitätsbeherrschung durch mehr Kreativität ist nur durch mehr Diversität in Teams erreichbar. Bei der Auswahl von Führungskräften müssen damit dann auch 360 Grad Beurteilungen mit einbezogen werden.


Prof. Dr. Harald Schaub, apl. Professor an der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg, Leiter der IABG Safety & Security Academy, Senior Program Manager Human Factors Engineering.

Sönke Marahrens, Dipl Inform, MPA, Oberst i.G. , Bereichsleiter Strategie und Streitkräfte.

Die Autoren waren als SME und Co-Lead für das MCDC Projekt Future Leadership beteiligt. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors/der Autorin. Diese müssen nicht mit jenen des GIDS, der Bundeswehr und der IABG übereinstimmen.


[1] Design Thinking beschreibt Methoden zur Lösung komplexer oder chaotischer Probleme, bei der Experten und „Betroffene“ gleichermaßen Berücksichtigung finden, um verschiedene Perspektiven / Perspektivwechsel zu ermöglichen.

[2] Im Englischen VUCA – Volatility, Uncertainty, Complexity and Ambiguity.

[3] Werner Hahlweg, Carl von Clausewitz. Schriften. Aufsätze. Briefe (Berlin: Vandenhoeck&Ruprecht, 1990), 212 – 213.

[4] Die Bedeutung dieser Kompetenz lässt sich im derzeitigen Umgang mit Covid 19 hervorheben, bei der viele Bundesbürger nach einem „Festhaltehaltepunkt“ suchen, während die forschenden Wissenschaftler permanent, teilweise auch diametrale, Erkenntnisse durch neue Studien gewinnen und publizieren.

[5] Georg von Reisswitz, Kriegsspiel (Berlin, 1824), 6.

[6] Hans-Peter Bartels und Rainer Glatz, “ Welche Reform die Bundeswehr heute braucht – Ein Denkanstoß,“ SWP, 2020, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A84/. Siehe ebenso Dominic Vogel, „Wie die Führungsorganisation der Bundeswehr angepasst werden kann,“ SWP, 2020, https://www.swp-berlin.org/10.18449/2020A25/.

[7] Die Clausewitz z.B. gar nicht kannte.

[8] Gilbert Probst und Peter Gomez, Vernetztes Denken. Ganzheitliches Führen in der Praxis (Wiesbaden: Springer, 1987).

[9] Stephan Leistenscheider, Auftragstaktik im preußisch-deutschen Heer 1872 bis 1914 (Hamburg, Berlin, Bonn: Mittler, 2002).

[10] Carl-Gero von Ilsemann, „Das operative Denken des älteren Moltke.“ In Operatives Denken und Handeln in deutschen Streitkräften im 19. und 20. Jahrhundert (= Vorträge zur Militärgeschichte Band 9), ed. MGFA (Herford, 1988), 17-44.

[11] Die empirische Forschung im Bereich Autonome Maschinen zeigt, dass eine Maschine um den Faktor 10 „sicherer“ agieren muss, als ein Mensch, damit ihr von Menschen „vertraut“ wird.

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