ArtikelDeutsche Artikel

Inklusion und Streitkräfte

Abstract: Inklusion ist ein schwieriges Thema in der Zivilgesellschaft. Oft werden Gehandicapte exkludiert. Nichtsdestotrotz hat eine Studie der Bundeswehr aus dem Jahre 2017 festgestellt, dass die Inklusion gerade in den deutschen Streitkräften besser gelingt als im restlichen gesellschaftlichen Spektrum. Wie steht es um die Inklusionsfrage in der Bundeswehr und im gesellschaftlichen Prozess?

Problemdarstellung: Wie ist eine bessere Inklusion möglich und welches Beispiel gibt hierfür die Bundeswehr?

Was nun?: Der Arbeitsmarkt, die Politik, aber auch andere gesellschaftliche Bereiche sollten von den Herangehensweisen der Bundeswehr beim Thema Inklusion lernen. Die Gesellschaft müsste durch Politik und Medien häufiger auf die Herausforderungen von gehandicapten Menschen sensibilisiert werden. Gehandicapte müssen mehr auf ihre Selbstständigkeit, die mit der Selbstbestimmung korreliert, trainiert werden, um resilienter gegenüber ihrer Umwelt werden zu können.

Symbol für eine bessere Integration. Hand dreht Würfel und ändert das deutsche Wort "Exklusion" (Ausschluss) in "Inklusion" (Inklusion).

Source: shutterstock.com/FrankHH

Ein inklusive Gesellschaft?

„Schau auf deinen Behindertenausweis, dann weißt du, was Sache ist.“ Dies sagte mir eine Person vor mehr als 15 Jahren, als ich gerade mein Erststudium in Politikwissenschaft, Neuerer Geschichte sowie Wirtschafts- und Sozialgeschichte beendet hatte. Heute hat sich daran nicht viel geändert. Ich wollte vor Kurzem eine Nordlandkreuzfahrt machen. Ich wurde abgewiesen, weil es keine rollstuhlgerechten Kabinen mehr gibt. Behinderte dürfen scheinbar bei ihrer Urlaubsgestaltung, wie auf dem Arbeitsmarkt auch, nur bestimmte Dinge des Lebens erlangen. Dies zeigt sich auch in einem Gespräch, das ich kürzlich führte. In diesem sagte man mir, ich sei für bestimmte ausgeschriebene Stellen nicht qualifiziert. Einen Vortrag aber könne ich halten; dafür sei ich scheinbar qualifiziert genug.

Behinderte dürfen scheinbar bei ihrer Urlaubsgestaltung, wie auf dem Arbeitsmarkt auch, nur bestimmte Dinge des Lebens erlangen.

Es gibt auch positive Erkenntnisse. So hat mir die Bundeswehr prägende Eigenschaften vermittelt, die mir in meinem Leben mit Handicap durchaus mehr als nur nützlich sind. Sie waren für mich in der Folge lebenswichtig. Vor allem das Trainieren der Belastbarkeit, Durchhaltefähigkeit in jedweder Situation, Flexibilität trotz Einschränkung, das Durchbeißen – auch wenn es schmerzt – verdanke ich vielen Offizieren der Bundeswehr. Aber auch meinem jetzigen Arbeitgeber und der Leitung dieses Arbeitgebers verdanke ich, dass sie mich in ihrem Team anerkennend aufgenommen hat.

Inklusion, Integration und Separation

Inklusion bedeutet in ihrer gesamten Breite nicht nur, dass man beispielsweise Kinder mit einem Handicap in der Schule eingliedern soll. Es bedeutet vielmehr, jeden Menschen in seinem individuellen Sein vollumfänglich am Leben, auch mit den Herausforderungen des Lebens, teilhaben zu lassen.[1] Dies setzt nicht nur die Gleichberechtigung voraus, sondern auch den absoluten Willen zur Selbstbestimmung, unabhängig von den seitens der Gesellschaft gesetzten Erwartungen an das individuelle Sein des Normalzustandes wie beispielsweise der kulturellen oder sozialen Gegebenheiten. Dabei muss auch klar sein, dass wenn man bestimmte Identifikationsindikatoren herauspickt, man zumeist gehandicapte Menschen per se aus der Gesellschaft ausschließt. Ohne Inklusion sind die Termini Gleichberechtigung, Teilhabe und Empowerment gar nicht zu erfassen. Seit Jahren schon wir darauf gedrungen, diese Faktoren der Inklusion zu einer Repräsentationsfrage für Menschen mit einem Handicap zu machen.[2]

Inklusion ist derzeit im breiten sozialen Spektrum nicht umgesetzt. Es ist sogar eher von einer Exklusion auszugehen, also von Ausschluss oder gar Ausgrenzung. Es gibt auch noch die Vorgehensweisen der Separation und Integration. Diese einzelnen sozialen prozessualen Konzepte müssen auseinandergehalten werden. Wenn es beispielsweise Kinder mit einem Handicap gibt, welche nicht in die Regelschulen kommen, ist davon auszugehen, dass sie unter das Diktum der Separation fallen. Es werden quasi Sonderräume geschaffen, welche von außen kaum durchdrungen werden können. Weiters können diejenigen, welche sich in solch einem Segregationsraum befinden, sich fast nicht mit ihrer äußeren Umwelt auseinandersetzen, weil sie von dieser abgekapselt sind.[3] Dasselbe gilt selbstverständlich auch umgekehrt. Denn die Individuen im allgemeinen sozialen Umfeld haben so gut wie keine Berührungspunkte mit jenen, die in einem anderen System leben. Die Separation ist also ein Teil der Exklusion. Sie trifft keineswegs nur auf den Bereich der Schulbildung zu. Man hat inzwischen bestimmte Prozesse gewählt, um dem integrativ entgegenzuwirken, so dass Kinder mit Behinderung Regelschulen besuchen können. Es ist allerdings festzuhalten, dass bei der Integration, egal welcher benachteiligten Gruppe, Gehandicapte in einer Regelschule sich dem bestehenden System anpassen müssen.[4]

Individuen im allgemeinen sozialen Umfeld haben so gut wie keine Berührungspunkte mit jenen, die in einem anderen System leben. Die Separation ist also ein Teil der Exklusion.

Bei der Inklusion sieht der Ansatz definitorisch schon viel differenzierter aus, denn hier muss sich die Systematik des Zusammenlebens an die Individualität des Einzelnen anpassen – und zwar in seiner Selbstbestimmtheit, vor allem in seiner gesamten Breite der Gleichberechtigung. Es werden die klar erkennbaren Unterschiede jedes Einzelnen nicht ignoriert, sondern absichtlich erfasst und mit in das gesellschaftliche System involviert.[5] Dies würde im Falle der Schulbildung bedeuten, dass das Schulsystem sich an den Bedürfnissen des Individuums ausrichten sollte. Dies ist jedoch zu hinterfragen, denn Selbstbestimmung ist auch verbunden mit der Kraft des Willens, selbstbestimmt zu sein. Es gilt auch die Durchsetzungsfähigkeit zu entwickeln, um die notwendige Anerkennung für die Herausforderungen des Alltags zu erhalten.

Die Wesentlichkeit der UN-BRK

Die UN-Behindertenkonvention (UN-BRK) hat dementsprechend festgelegt, dass jeder Mensch mit einem Handicap in vollem Umfang die Menschenrechte und Freiheiten für alle Menschen erhält und jene, die ein Handicap haben, müssen gefördert werden sowie geschützt auf der Grundlage der einem innewohnenden Würde.[6] Dabei ist der Begriff der Behinderung klar definiert: Darunter fallen Personen, die längerfristig, körperlich, seelisch, geistig oder sinnesmäßig beeinträchtigt sind und welche aufgrund der verschiedenen Hürden, die damit verbunden sind, an der gleichberechtigten Teilhabe in der jeweiligen Gesellschaft, in der sie leben, gehindert werden.[7]

2008 trat die UN-BRK in Kraft. Sie unterstreicht dabei nicht nur das Fundament der allgemeinen Grundrechte, sondern sie umreißt auch, an welchen Parametern und Richtlinien man sich zu orientieren hat, um die Lebensmöglichkeiten von Menschen mit einem Handicap zu verbessern. In der englischen Fassung der UN-BRK wurde der Begriff „inclusion“ verwendet, vor allem, wenn es um Zugang zu Justiz, Bildung, Gesundheit und Wahlrecht geht.[8] Leider wurde bei der deutschen Übersetzung nicht der Begriff Inklusion verwendet, sondern der Begriff Integration, was die tiefen Probleme und vor allem die Trennung zwischen Inklusion und Integration in vielerlei Hinsicht verschärft.[9] Die Grundrechte von Menschen mit Behinderungen wurden schon in verschiedenen juristischen Manifestationen garantiert, beispielsweise durch die Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen und der Erklärung der Rechte für behinderte Menschen, national durch das Grundgesetz.[10] Die Signaturstaaten haben sich verpflichtet, die in der Konvention vereinbarten Richtlinien in nationales Recht zu überführen. Weiters wird hierdurch ein anderes Verständnis von Behinderung geschaffen, und zwar als Basis eines anderen menschenrechtlichen Modells. Durch die Exklusion werden die Beeinträchtigungen nicht nur verstetigt, sondern die Rechte des Einzelnen auch noch vorenthalten. Der Staat jedoch, wie auch die Zivilgesellschaft, sind verpflichtet, die Menschenrechte zu achten und Diskriminierung sowie Benachteiligung zu vermeiden.

2008 trat die UN-BRK in Kraft. Sie unterstreicht dabei nicht nur das Fundament der allgemeinen Grundrechte, sondern sie umreißt auch, an welchen Parametern und Richtlinien man sich zu orientieren hat, um die Lebensmöglichkeiten von Menschen mit einem Handicap zu verbessern.

Formen der Diskriminierung

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes führte 2020 an, dass Behinderung der häufigste Diskriminierungsgrund war, an zweiter und dritter Stelle standen die ethnische Herkunft und das Geschlecht.[11] Dasselbe statistische Aufkommen sah man 2021. 2022 lag Behinderung als Diskriminierungsgrund an zweiter Stelle, hinter dem Grund der ethnischen Herkunft und vor dem des Geschlechts. Weshalb Menschen mit einem Handicap diskriminiert werden, hat mehrfache Gründe. Behinderung ist eine Abweichung von der Norm des „Gesundseins“. Sie ist daher aus medizinischer Sicht eine biologische Funktionseinschränkung.[12] Dass es auch heute noch zur Exklusion kommt, zeigen eben die geschaffenen Senderäume, Förderschulen, Behindertenwerkstätten und Wohnheime für gehandicapte Menschen. Sie sind die Fundamente der Separierung von der normalen Gesellschaft. Alleine die medizinische Sichtweise zeigt das Ungleichgewicht im strukturellen Sinne hin zur Bevormundung sowie Diskriminierung.[13]

Hieraus resultiert die Theorie: Menschen mit einem Handicap sind komplett hilflos, brauchen Mitleid und müssen sogar gepflegt werden. Das führt allerdings makabrerweise auch zu der Auffassung, dass Personen aus dem autistischen Umfeld aufgrund der häufigen Nicht-Sichtbarkeit der Einschränkung als keinesfalls gehandicapt angesehen werden, weil das Handicap gar nicht sichtbar ist.[14]

Es ist nicht sinnvoll, jemand als „behindert“ zu bezeichnen, weil dies nur und ausschließlich auf seine Einschränkungen abhebt und damit auch in gewissem Maße eine intolerante Perspektive bedingt.[15] Anders als bei Heilerziehungspflegern ist nach sozialwissenschaftlicher Auffassung der Begriff Behinderung eher negativ besetzt. Man geht dabei eben sprachlich schon davon aus, dass Eingeschränkte zu bestimmten Vorgehensweisen erzogen werden müssen. Die Entwicklung soll verändert, begrenzt und möglicherweise gar pädagogisch beeinflusst werden. Eine Einschränkung aber, die zeitlich unbegrenzt ist, kann nicht geheilt und im Übrigen auch nicht pädagogisch beeinflusst werden.[16] Der zu Unterstützende sollte doch immer der Handelnde bleiben, der bestimmt, ob er Hilfe benötigt oder eben nicht. Es erscheint zumeist so, dass diejenigen, die einem Gehandicapten helfen, ein Gefühl der Selbstbefriedigung erhalten, weil sie den Glauben hegen, sie hätten einer hilflosen Person geholfen.

Eine Einschränkung aber, die zeitlich unbegrenzt ist, kann nicht geheilt und im Übrigen auch nicht pädagogisch beeinflusst werden.

Die Sprache zeigt, wo wir da teilweise stehen: Der Behinderte ist „an den Rollstuhl gefesselt“, obwohl er sich teilweise noch selbstständig zu bewegen vermag. Es geht hierbei um die Sensibilisierung von sprachlicher Anwendung, ob in den Medien, in der Arbeitswelt oder im Alltag, denn hiermit fängt der Umgang mit dem Begriff von Behinderung und Einschränkungen an. Man müsste im Grunde genommen von der Perspektive des Betroffenen her denken, denn jede dieser Betroffenenperspektiven unterscheidet sich im Wesentlichen je nach Grad und Schwere einer Einschränkung von Individuum zu Individuum. Dies bedeutet zumeist, dass diese mit der gängigen Betrachtungsweise gar nicht konform ist, weil die Perspektiven individuell sind.[17]

Der Begriff „Ableismus“

Der Begriff des Ableismus setzt sich zusammen aus able (fähig) und der deutschen Nachsilbe „ismus“, die auf ein geschlossenes Denkmuster hinweist.[18] Also geht man aus diesem Ableitungsbegriff davon aus, dass ein Individuum eine bestimmte Fähigkeit hat.[19] Dies erscheint nicht nur behindertenfeindlich im weitesten Sinne. Es ist nur das Abbild von dem, was die Herabwürdigung des/der Gehandicapten darstellt. Sowohl die Abwertung als auch die Aufwertung können ableistisch sein. Es geht hierbei um die allgemeine Erwartungshaltung, um Dogmen und Normvorstellungen, denen man blindlings zivilgesellschaftlich folgt.

Der internalisierte Ableismus zeigt sich darin, dass manche Personen mit einem Handicap sich kaum trauen, in die Gesellschaft zu gehen, weil sie sich selbst als „Last“ empfinden. Eine Haltung, die dazu führen kann, dass Eingeschränkte noch eingeschränkter, vielleicht sogar nicht gesellschaftsfähig werden.[20] Eine andere Form des internalisierten Ableismus ist, dass man außergewöhnlich viel leisten müsse, um überhaupt mit den „Gesunden“ mithalten zu können. Das führt zum Teil dazu, dass Gehandicapte manchmal trotz 40 Grad Fieber zur Arbeit gehen, weil sie befürchten, als weniger leistungsfähig angesehen zu werden.[21] Dies bedeutet Unterdrückung gegen sich selbst, um nicht machtlos zu erscheinen, denn die Gruppe, die im Glauben lebt, unfähig zu sein, ist quasi der Gruppe untergeordnet, die eher fähig zu sein scheint. Dieser Grundsatz diskriminierender Natur ist nicht nur gefährlich. Er ist die Basis des Ableismus. Es ist daher ganz offensichtlich, dass Inklusion nur möglich erscheint, wenn Gleichberechtigung – und damit Teilhabe – ohne Unterscheidung im Background initiiert wird.

Was macht der Ableismus mit jemandem, der gehandicapt ist? Neben den körperlichen Einschränkungen, die ohnehin eine große geistige wie physische Flexibilität verlangen und sehr belastend sind, erdrückt eine:n Gehandicapte:n zumeist auch der internalisierte Ableismus sogar mehr als die physischen Flexibilitätsanforderungen. Er wirkt wie das Fehlen einer Dame auf dem Schachbrett, das die Bewegung zum Schachmatt des Gegners fast unmöglich erscheinen lässt.

Diese Abwägung von sich ständig verändernden Lagen führt bei vielen Eingeschränkten, die nicht mit unterschiedlichen Lagephänomenen vertraut sind und sich nicht schnell und flexibel physisch und vor allem psychisch darauf einzustellen vermögen, zu einem Disability-Burn-out. Häufig herrscht der Eindruck unter vielen Gehandicapten vor, man hätte zu wenig Ressourcen, um überhaupt den Alltag bewältigen zu können, und dies über mehrere Dekaden hinweg. Solche Lebensgefechte sind stressig, der Sprit, die Nahrung, das Material schneller aufgebraucht und verschlissen, aber man hat keine Wahl, man muss stehen. Die Verteidigungslinien sind schwer zu überwinden im Alltag, seien es kaputte Lifte an den Bahnhöfen, komplizierte Sprache bei geistig Eingeschränkten oder eben der/die ableistische Schaffner:in. Ähnlich ist die Verletzungstheorie: In einem Gefecht kann man durchaus verwundet werden. Es gibt verschiedene Kategorien von Verwundungen: leichte Verwundungen, mittelschwere Verwundungen, tödliche Verwundungen. Leichte Verwundungen bedingen, dass man möglicherweise danach weiterkämpfen kann. Vielleicht eingeschränkter, aber man kann weiter in der operativ-taktischen Stellung einen Beitrag leisten, und sei es nur durch das Verteilen von Munition an die Mitkämpfer:innen. Aber jeder Mensch und Soldat hat eine gewisse Schwelle, wo man keine Verwundungen mehr tragen kann, es tritt dann die Erschöpfung ein. Die meisten Soldaten beispielsweise der Grande Armée Napoleons I. im Russlandfeldzug 1812 starben nicht in den Schlachten von Smolensk oder Borodino, obwohl diese die blutigste Schlacht der Napoleonischen Kriege darstellte; sie starben durch Erschöpfung auf dem Rückweg in ihre Heimat.[22]

Häufig herrscht der Eindruck unter vielen Gehandicapten vor, man hätte zu wenig Ressourcen, um überhaupt den Alltag bewältigen zu können, und dies über mehrere Dekaden hinweg.

Bestimmte Verwundungen können so belastend sein, dass sie traumatisierende Wirkungen entfalten können und so gut wie nicht mehr behoben werden können, auch nach Ende eines Kampfes; eine geradezu vernichtende Wirkung auf das Individuum.

Formen der Gewalt

So ist es auch keinesfalls verwunderlich, dass durchaus auch Gewalt gegen Gehandicapte ausgeübt werden kann. Diese Gewalt liegt in der Gesellschaft, selbst in den staatlichen Strukturen. Der Sozialpsychologe Franco Basaglia schrieb bereits 1978, dass die Überlegenheitshierarchie dazu führt, dass man die Unterlegenen sogar dazu bringt, ihre Unterlegenheit zu akzeptieren und sich dem Schicksal hinzugeben. Man nennt dies in der Fachliteratur „Befriedungsverbrechen“.[23]

Damit stellt sich die Frage: Wer wird eigentlich von der Exklusion einer gesamten Gruppe von Personen geschützt? Sind es diejenigen, die eingeschränkt sind, oder diejenigen, die sich mit den Einschränkungen aus verschiedenen Perspektiven genauer auseinandersetzen müssten? Die bestehende Ordnung wird also dadurch herausgefordert, dass Inklusion erfordert, andere strukturelle Bedingungen zu schaffen, die natürlich zu Reibungspunkten durch die Veränderungsanforderungen führen – gegen welche sich die bestehende Ordnung wehrt. Dies führt dann zumeist zu struktureller Gewalt. Man muss allerdings hinzufügen, dass sich diese kritische Betrachtungsweise nicht gegen bestimmte Personen und ihre Gesinnung richtet, sondern gegen die ordnungsbedingten Prozesse, die zu bestimmten Handlungsweisen führen.

Inklusion erfordert, andere strukturelle Bedingungen zu schaffen, die natürlich zu Reibungspunkten durch die Veränderungsanforderungen führen.

Inklusion in der Bundeswehr

Der Forschungsbericht zur Inklusion in der Bundeswehr aus dem Jahre 2017 des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zeigt eines auf: Die Streitkräfte haben einen anderen, positiveren Blick auf das Thema „Menschen mit Behinderungen//Einschränkungen“. Die Einschränkungen, die Beschäftigte der Bundeswehr laut der Studie mit sich bringen, sind im beruflichen Umfeld bekannt. Die meisten haben körperliche Einschränkungen, nämlich 52%. Die inneren Erkrankungen belaufen sich auf 41% und sogar psychische Erkrankungen sind in den Streitkräften mit 15% inkludiert. Das ist nicht nur beachtlich, es zeigt, dass die Bundeswehr Gehandicapte als einen Teil des beruflichen Seins versteht und eben nicht exkludiert. Vor allem der Anteil der psychischen Einschränkungen bei Soldat:innen, im Vergleich zu den zivilen Mitarbeiter:innen, nämlich 23% zu 14%, zeigt, dass der Zusammenhalt in den Streitkräften größer ist. Der Wille, mit den Menschen verantwortlicher umzugehen, ist hier scheinbar höher bewertet als in anderen Teilen der Berufswelt und auch der Zivilgesellschaft. Allerdings wird auch hier von den Gehandicapten eine Verbesserung der Maßnahmen im Bereich Infrastruktur, bei den Arbeitsbedingungen, der Bewusstseinsbildung, was das Thema Einschränkungen anbelangt, und auch bei der Chancengleichheit gewünscht, was ebenfalls deutlich macht, dass der Prozess auch bei der Bundeswehr noch keinen Abschluss gefunden hat.[24] Interessant bei der Studie des ZMSBw ist zugleich, dass bei 77% der nicht-eingeschränkten Angehörigen der Bundeswehr und bei 78% der gehandicapten Angehörigen der Streitkräfte der Begriff der Inklusion schon einmal wahrgenommen wurde, sowie der Begriff der Barrierefreiheit bei fast allen Angehörigen (97% der Nichtbehinderten und bei 95% der Gehandicapten) bekannt ist und das diese auch eine klare Vorstellung von diesen Termini haben.[25] 54% der Nicht-Gehandicapten in den Streitkräften nehmen die behinderten Kamerad:innen sowie Mitarbeiter:innen wahr. Damit geht auch ein gewisser Respekt und Anerkennung einher.[26] Interessant erscheint jedoch die Tatsache, dass deutlich weniger Nicht-Gehandicapte mit Gehandicapten gearbeitet haben, nämlich 45%. Nur 33% haben lediglich auf derselben Abteilungsebene mit Gehandicapten zu tun gehabt.[27]

54% der Nicht-Gehandicapten in den Streitkräften nehmen die behinderten Kamerad:innen sowie Mitarbeiter:innen wahr. Damit geht auch ein gewisser Respekt und Anerkennung einher.

Es ist genauso festzuhalten, dass auch in der Bundeswehr 67% der Gehandicapten untereinander eher im Arbeitsbereich miteinander zu tun haben. Die Zusammenarbeit wird in kameradschaftlicher Form sehr positiv aufgefasst. Bei den Nichtbehinderten liegt die Prozentzahl bei 78%, bei den Menschen mit Einschränkungen bei 74%. Genauso geben beide Seiten an, dass die Arbeit mit Gehandicapten keinen negativen Einfluss auf das Arbeitsumfeld der Bundeswehr hat.[28] Es ist sogar durch die Studie belegt, dass Behinderte in der Bundeswehr eher die Arbeitsplatzsituation positiver bewerten als ihre nichtbehinderten Kameraden und sich dennoch mehr Aufstiegschancen, Wertschätzung und Offenheit bei den Vorgesetzten wünschen. Kaum jemand fühlt sich von anderen Kameraden als Gehandicapte:r respektlos behandelt, eher belastend sind die widrigen Arbeitsbedingungen, wie beispielsweise ständiger Zeitdruck.

Zwei Drittel der Gehandicapten fühlen sich zudem entsprechend ihrer Qualifikation eingesetzt. Dies ist ein sehr interessanter und zugleich bemerkenswerter Aspekt, der im zivilen alltäglichen Umfeld so gut wie kaum gegeben ist. Die Einschätzung bei Nichtbehinderten, dass Gehandicapte gute Aufstiegschancen bei der Bundeswehr hätten (60% sind dieser Meinung), trügt allerdings, denn die Gehandicapten sehen eher das genaue Gegenteil von dem. Bei Soldat:innen liegt der Prozentsatz hier bei 68% mit Handicap, im zivilen Umfeld der Bundeswehr bei 43%.[29] Jedoch sind beide Seiten der Auffassung, dass keine:r eine schlechtere Beurteilung wegen eines Handicaps erhält. Auch dies ist sehr bemerkenswert. Man ist beiderseits der Meinung, dass man in der Bundeswehr eine bessere Gleichbehandlung und Aufstiegschancen habe als im Rest der Gesellschaft. Dieser Umstand ist bedeutsam. Der Zusammenhalt in der Bundeswehr basiert auf Kameradschaft, Kollegialität und Leistung. Das sind Faktoren, die im gesellschaftlichen Prozess insgesamt kaum noch vorherrschen.

Jedoch wird auch sichtbar, dass nicht jede:r die Inklusionsvorschrift bei der Dienstpostenausschreibung positiv bewertet: 66% positiv bei Gehandicapten, nur 38% bei nichtbehinderten Angehörigen der Streitkräfte. Bedenken gibt es auf beiden Seiten. Zum einen haben die Behinderten Angst vor Verlust des Respekts und der Akzeptanz und bei den Nichtbehinderten hat man Angst vor eigenen Nachteilen. Daher sind auch alle Angehörige der Bundeswehr der Ansicht, dass das Thema Inklusion nicht so einfach umzusetzen ist und daher stärkerer Anstrengungen bedürfe. 80% der Eingeschränkten und 68% der Nichtbehinderten würden dennoch einen Gehandicapten bei der Anstellungssuche in der Bundeswehr weiterempfehlen. Auch das ist mehr als beachtlich. Zugleich geben gerade mal 10% der Nichtbehinderten und 19% der Behinderten an, etwas von der UN-BRK gehört zu haben. Deshalb schätzen auch der Großteil der Angehörigen der Streitkräfte die Bewusstseinsbildung zum Thema Behinderung als sehr wichtig ein. Nur 27% der Schwerbehinderten in der Bundeswehr sind nur teilweise zufrieden und nur 36% sogar unzufrieden; eine geringe Zahl, wenn man sich vergegenwärtigt, wie das zivile gesellschaftliche Umfeld im Alltag Behinderten begegnet.[30]

Fazit

Es wurde im Laufe der Analyse des Terminus Internalisierter Ableismus deutlich, wo die Gesellschaft in Fragen der Inklusion steht. Die ständige Kurbel der Angst, „schlechter zu sein als andere“, oder umgekehrt zugleich eine gesellschaftlich strukturierte Belastung darzustellen, belastet viele Gehandicapte nicht nur. Sie ergeben sich zum Teil ihrem Schicksal und vollziehen damit auch eine gewisse „Kapitulation“ vor sich selbst und den gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie werden dadurch zumeist noch eingeschränkter und im schlimmsten aller Fälle gehen sie daran zugrunde. Viele erleben mit Handicap den Druck der Unterlegenheit. Die Verwundungen sind zu schmerzhaft, um jährlich alles ertragen zu können, vor allem, wenn man eben nicht auf Belastbarkeit und Flexibilität trainiert wurde, wie es die Bundeswehr gemeinhin tut.

Die ständige Kurbel der Angst, „schlechter zu sein als andere“, oder umgekehrt zugleich eine gesellschaftlich strukturierte Belastung darzustellen, belastet viele Gehandicapte nicht nur. Viele erleben mit Handicap den Druck der Unterlegenheit.

Deswegen sind auch wenige Beschäftigte mit Handicap in der Bundeswehr unzufrieden. Sie werden nicht nur in der Gemeinschaft des Arbeitgebers Bundeswehr aufgenommen. Sie gelten dort als Kamerad:innen, Kolleg:innen. Und sie werden trainiert auf die Belastungen, nicht nur arbeitstechnisch, sondern allgemein hinsichtlich des Lebens in der Welt.

 

 


Ilya Zarrouk, Jahrgang 1981, studierte Neuere Geschichte, Wirtschafts- und Sozialgeschichte und Politikwissenschaft in Mannheim, Heidelberg und Tunis. Zarrouk ist seit 2013 Dozent an verschiedenen Abendakademien im Rhein-Neckar-Raum, wo er zu sicherheitspolitischen und militärpolitischen Fragen referiert. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors.


[1] Was ist Inklusion (https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion); Raúl Aguayo-Krauthausen, Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden, (Hamburg 2023), 15/16.

[2] Idem.

[3] Astrid Erll, Maroin Gymnich, Interkulturelle Kompetenzen. Erfolgreich kommunizieren zwischen den Kulturen, (Stuttgart 2010), 10-12.

[4] Raúl Aguayo-Krauthausen, Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden, (Hamburg 2023), 16-18.

[5] Idem.

[6] UN-BKR: Der Behindrtenbeauftragte, https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/rechtliches/un-brk/un-brk-node.html.

[7] Inklusion als gesellschaftliche Teilhabe, 14.06.21, https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/521026/behinderung-was-ist-das-eigentlich/.

[8] UN-BKR: Der Behindrtenbeauftragte, https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/rechtliches/un-brk/un-brk-node.html.

[9] Raúl Aguayo-Krauthausen, Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden, (Hamburg 2023), 16-18.

[10] UN-BKR: Der Behindrtenbeauftragte, https://www.behindertenbeauftragter.de/DE/AS/rechtliches/un-brk/un-brk-node.html; https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/521026/behinderung-was-ist-das-eigentlich/.

[11] Raúl Aguayo-Krauthausen, Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden, (Hamburg 2023), 21-23.

[12] Idem.; ] Inklusion als gesellschaftliche Teilhabe, 14.06.21, https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/521026/behinderung-was-ist-das-eigentlich/.

[13] Idem.

[14] Idem.

[15] Idem.

[16] ] Inklusion als gesellschaftliche Teilhabe, 14.06.21, https://www.bpb.de/themen/inklusion-teilhabe/behinderungen/521026/behinderung-was-ist-das-eigentlich/

[17] Idem.

[18] “Was ist Ableismus,” 13.08.23, https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion/ableismus.

[19] Idem.

[20] “Was ist Ableismus,” 13.08.23, https://www.aktion-mensch.de/dafuer-stehen-wir/was-ist-inklusion/ableismus.

[21] Idem.

[22] Adam Zamoyski, 1812: Napoleons Feldzug in Russland, (München 2012), 25-27.

[23] Franco Basaglia, Die negierte Institution oder die Gemeinschaft der Ausgeschlossenen, (1978), 30-34.

[24] Meike Wanner, Angelika Dörfler-Dierken, Markus Thurau, Inklusion in der Bundeswehr, (Forschungsbericht 127, Dezember 2020), 8-14.

[25] Idem.

[26] Idem.

[27] Idem.

[28] Idem.

[29] Idem.

[30] Idem.

You may also like

Comments are closed.