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Die Bedeutung der Geistigen Landesverteidigung für das Gemeinwohl und die Resilienz Österreichs

Abstract: Kognitive Kriegsführung hat sich im 21. Jahrhundert vom unterstützenden zum entscheidenden Effekt entwickelt. Dieser Evolution hat auch die Umfassende Landesverteidigung Rechnung zu tragen. Die aktuelle Gesetzeslage sieht hier Aufgaben wie die Wahrung der Unabhängigkeit und Unverletzlichkeit des Bundesgebietes sowie die Verteidigung der immerwährenden Neutralität vor. Das zentrale Element für die Wirkung der Umfassenden Landesverteidigung stellt die Sicherung des Gemeinwohls dar. Um eine zielgerichtete und kontinuierliche Anpassung und Ausgestaltung zur Umsetzung der Umfassenden Landesverteidigung und deren Teilbereiche durchzuführen, wurde dieser Begriff mit Bezug auf die Ereignisse des 21. Jahrhunderts analysiert.

Problemdarstellung: Wie kann in Österreich angesichts der Bedrohung durch moderne Formen der kognitiven Kriegsführung und der potenziellen Gefährdung der staatlichen Souveränität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts eine effektive Geistige Landesverteidigung entwickelt werden?

Was nun?: Die dem Bundes-Verfassungsgesetz und anderen rechtlichen Grundlagen zu entnehmenden Vorgaben und Ziele der Umfassenden Landesverteidigung und deren Teilbereiche sind umfangreich. Die Umsetzung dieser Vorgaben erfordert eine Analyse des Begriffes der ‚Geistigen Landesverteidigung‘, um eine verfassungskonforme Umsetzung und Stärkung der Gesellschaft gegen aktuelle Bedrohungen in Europa zu erreichen.

Das Funktionsmodell der Landesverteidigung

Source: Author

Kontext und historische Entwicklung der Umfassenden Landesverteidigung in Österreich

Während des Kalten Krieges wurde Österreich zu einem Schauplatz für verschiedene Formen der kognitiven Kriegsführung zwischen den Supermächten und ihren Einflusssphären. Propaganda,[1] Desinformation,[2] Psychologische Operationen[3] und subversive Aktivitäten[4] wurden eingesetzt, um das Denken, Verhalten und die Stabilität der österreichischen Gesellschaft zu beeinflussen.

In Österreich, genauer gesagt in der Zweiten Republik, wurde bereits früh versucht, die Bevölkerung und wichtige Institutionen effektiv vor Bedrohungen zu schützen. Die grundlegenden Überlegungen begannen unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Entwicklung des „Österreichischen Sicherheitskonzeptes“ in den 1950er Jahren. In diesem Konzept wurde vor allem die Eigenverantwortung Österreichs für seine Verteidigung und die umfassende Beitragsleistung der Gesellschaft hervorgehoben.[5] Zudem wurde während des Kalten Krieges die Bedeutung sowie das Potential von Propaganda und Desinformation zur Verstärkung politischer Instabilität und Unsicherheit erkannt, was die Souveränität und den inneren Zusammenhalt des Landes gefährdete. Diese Erfahrungen führten dazu, dass Österreich eine umfassende Landesverteidigung entwickelte, um sich gegen moderne Formen der kognitiven Kriegsführung zu schützen.

Während des Kalten Krieges wurde die Bedeutung sowie das Potential von Propaganda und Desinformation zur Verstärkung politischer Instabilität und Unsicherheit erkannt, was die Souveränität und den inneren Zusammenhalt des Landes gefährdete.

Die gesetzliche Festlegung der Umfassenden Landesverteidigung

Seit dem Jahr 1975 bekennt sich Österreich gemäß Artikel 9a Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zur Umfassenden Landesverteidigung (ULV). „Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hierbei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von außen zu schützen und zu verteidigen.“[6]

Aufbau der Umfassenden Landesverteidigung

Abbildung 1: Aufbau der Umfassenden Landesverteidigung[7]; Source: Autor

Gemäß Absatz 2 des B-VG unterteilt sich die ULV in die Bereiche der wirtschaftlichen Landesverteidigung (WLV), der zivilen Landesverteidigung (ZLV), der militärischen Landesverteidigung (MLV) und der geistigen Landesverteidigung (GLV) (siehe Abbildung 1).[8] Zusammengefasst können die Aufgaben der einzelnen Teilbereiche wie folgt beschrieben werden. Die WLV sichert kritische Infrastrukturen und fördert strategische Wirtschaftszweige. Die ZLV schützt die Bevölkerung bei Krisensituationen durch ein flächendeckendes Zivilschutzsystem. Die MLV gewährleistet eine effektive Verteidigung und die GLV umfasst die Förderung der Bildung und Aufklärung über demokratische Werte, um Resilienz gegen kognitive Bedrohungen zu stärken.

Diese Maßnahme wurde nicht zuletzt durch den Beschluss des Nationalen Sicherheitsrates vom 25. Februar 2022 betreffend die Aufrechterhaltung der Umfassenden Landesverteidigung bestärkt. Dieser Beschluss erfolgte einen Tag nach dem Beginn des Überfalls Russlands auf die Ukraine. Im Zuge dieses Beschlusses wurde gegenüber der Bundesregierung die Empfehlung zur Wiederbelebung und Aufrechterhaltung der Umfassenden Landesverteidigung ausgesprochen.[9]

Das Funktionsmodell der Umfassenden Landesverteidigung

Die ULV entfaltet ihre volle Wirksamkeit erst durch das aktive Zusammenwirken aller aufgeführten Teilbereiche.

Funktionsmodell der Umfassenden Landesverteidigung

Abbildung 2: Funktionsmodell der Umfassenden Landesverteidigung[10]; Source: Autor

Um diesen Zusammenhang zu veranschaulichen, wurde das Funktionsmodell der ULV (Abbildung 2) konstruiert.

Wie anhand dieses Modells ersichtlich, wird die Bundesverfassung als grundlegende Basis und die Politik als Rahmen betrachtet, weil die politische Instanz als lenkendes Organ die erforderlichen Rahmenbedingungen für die Effektivität der verschiedenen Bereiche und die Umsetzung des Rechtsrahmens schaffen muss.

Im Funktionsmodell ist die GLV als auf die Bundesverfassung basierendes Fundament dargestellt, da sie die grundlegenden Werte und demokratischen Prinzipien repräsentiert, welche für die ULV von existenzieller Bedeutung sind. Sie dient dazu, die Bevölkerung für die Bedeutung des Gemeinwohls zu sensibilisieren und den Willen zur Sicherung der staatlichen und gesellschaftlichen Lebensgrundlagen zu wecken.Da die militärische, zivile und wirtschaftliche Landesverteidigung auf den bereits erwähnten Bereichen aufbauen und es notwendig ist, dass sie eng miteinander interagieren, wurden sie in der Abbildung 2 als Säulen dargestellt.

Die GLV ist als auf die Bundesverfassung basierendes Fundament dargestellt, da sie die grundlegenden Werte und demokratischen Prinzipien repräsentiert, welche für die ULV von existenzieller Bedeutung sind.

Im Kontext der ULV bezieht sich das Gemeinwohl auf das Wohl der gesamten Bevölkerung und des Staates. Die Sicherheit und Verteidigung des Landes stehen dabei im Interesse aller Bürger:innen und dienen dem Schutz ihrer gemeinsamen Werte und Interessen. Daher wird das Gemeinwohl an der Spitze des Modelles, aufbauend auf allen bisher dargestellten Elementen, abgebildet.

Das Bestreben nach Gemeinwohl ist Ziel des Staatsvolkes, um die Existenz zu sichern. Diese Staatsziele sind in der Verfassung festgehalten und somit rechtlich verbindlich. Die Staatsorgane sind folglich zu einem bestimmten Handeln verpflichtet.[11]

Durch das kooperative Zusammenwirken in den politischen, geistigen, militärischen, zivilen und wirtschaftlichen Bereichen dieses Funktionsmodells und der Sicherstellung des Gemeinwohles entsteht eine umfassende Resilienz[12] gegenüber externen Einflüssen und Bedrohungen. Diese integrierte Herangehensweise ermöglicht es, flexibel auf vielfältige Sicherheitsherausforderungen zu reagieren und gleichzeitig die Stabilität, die Handlungsfähigkeit und den Schutz der gemeinsamen Werte und Interessen des Landes zu gewährleisten. Die enge Verknüpfung der verschiedenen Säulen der Umfassenden Landesverteidigung und die Ausrichtung auf das Gemeinwohl schaffen eine robuste Verteidigungsstruktur, die darauf abzielt, das Wohl der gesamten Bevölkerung und des Staates zu sichern.

Die Ziele der Geistigen Landesverteidigung

Der Landesverteidigungsplan 1985 stellte bis 2002 die Detaillierung der Zielsetzungen der ULV aufbauend auf das B-VG dar.[13] Diese Zielsetzungen zeigen, den Stellenwert der GLV im Kontext der ULV, da ohne eine gute Wirkungsweise keine der auf sie aufbauenden Säulen funktionieren kann. Sie werden im Landesverteidigungsplan 1985 als Beitrag zur ULV wie folgt dargestellt: „Geistige Landesverteidigung soll den österreichischen Staatsbürgern bewußt machen, daß es — über unterschiedliche politische Auffassungen und Wertvorstellungen hinaus — allgemeingültige Grundwerte gibt, die für die demokratische Republik Österreich und die in diesem Staate lebenden Menschen von existentieller Bedeutung sind.“[14]

Die zweite Zielsetzung bestärkt die Erkenntnis, dass die Lebensgrundlagen mit Sicherheit, Neutralität und Verfassung zusammenhängen und bei Bedrohungen oder Anlässen für umfassende Landesverteidigung gefährdet sind. Dies wird wie folgt dargestellt: „Geistige Landesverteidigung soll die österreichischen Staatsbürger zu der Erkenntnis führen, daß diese geistigen und materiellen Lebensgrundlagen nur in einem sehr leidvollen und opferreichen historisch-politischen Prozeß haben geschaffen werden können, daß ihr Bestand an die Erhaltung äußerer und innerer Sicherheit und damit im Zusammenhang an die Erhaltung der immerwährenden Neutralität sowie der verfassungsmäßigen Einrichtungen gebunden ist, und daß diese Lebensgrundlagen dann gefährdet sind, wenn sich das im Allgemeinen Teil dieses Landesverteidigungsplanes gezeichnete ‚Bedrohungsbild‘ aktualisiert bzw. jene ‚Anlaßfälle der Umfassenden Landesverteidigung‘ eintreten, die dort dargestellt sind.“[15]

Die dritte Zielsetzung umfasst das Wecken der Bereitschaft zur Sicherung der Lebensgrundlagen sowie dem Willen auch Einschränkungen dafür in Kauf zu nehmen. Dies wird im Landesverteidigungsplan wie folgt dargestellt: Es ist nötig in „(…) Staatsbürgern die Bereitschaft [zu] wecken, zur Sicherung ihrer staatlich-gesellschaftlichen Lebensgrundlagen beizutragen und möglichen Bedrohungen entgegenzuwirken. Diese Bereitschaft schließt den Willen mit ein, Beschränkungen auf sich zu nehmen, Belastungen zu tragen, Verzicht zu leisten, Opfer zu bringen; sie wird (…) bereits im Zustand des ‚relativen Friedens‘ zur Friedenssicherung notwendig sein und zur Bewältigung eines Krisen-, Neutralitäts- oder Verteidigungsfalles verstärkt gefordert werden müssen.“[16]

Die vierte Zielsetzung umfasst die Aufgabe der Vermittlung der ULV und lautet: „Geistige Landesverteidigung soll die österreichischen Staatsbürger mit dem Instrumentarium der Umfassenden Landesverteidigung vertraut machen und ihnen ein realitätsgerechtes Bild jener Chancen vermitteln, die sich durch den Einsatz dieses Instrumentariums für Österreich ergeben.“[17]

Auch im 21. Jahrhundert ist der Stellenwert der GLV für die ULV besonders. Wie in dem dargestellten Funktionsmodell der ULV (Abbildung 2) ersichtlich, ist eine funktionierende GLV die Grundlage für die Gewährleistung aller weiteren Bereiche der Landesverteidigung. In diesem Kontext ist das Zitat von Sun Tzu[18] „Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen“[19] nach wie vor von größter Relevanz. Dieses Brechen des Widerstandes kann insbesondere dann eintreten, wenn der Wille der Bevölkerung, sich für die politische Unabhängigkeit und territoriale Zugehörigkeit ihres Landes einzusetzen, nicht mehr im ausreichenden Maße vorhanden ist. Der schweizer Offizier Edgar Schumacher beschreibt dies wie folgt: „Ein Volk mit Wehrwillen kann siegen oder kann untergehen; aber es kann niemals schlechthin niedergegangen werden.“[20]

Eine funktionierende GLV ist die Grundlage für die Gewährleistung aller weiteren Bereiche der Landesverteidigung.

Ein weiteres, die Ziele der GLV bestärkendes Zitat ist jenes des Politikwissenschafters Benedict Anderson. Er führte dazu an: Eine Nation ist eine auf der Erinnerung an gemeinsame politische Schicksale basierende große – und deswegen vorgestellte –Solidargemeinschaft, deren Pathos sich auf einen bestehenden oder ersehnten Staat richtet.”[21] Dies bekräftigt das im dargestellten Funktionsmodell angeführte Gemeinwohl, welches als Zeichen des Pathos der Solidargemeinschaft die Voraussetzung und gleichzeitig das Ziel der GLV darstellt.

Gefährdet wird die GLV vor allem durch Formen der Kognitiven Kriegsführung, da durch gezielte Manipulation von Informationen versucht wird das Denken, Verhalten und die Stabilität der Gesellschaft zu beeinflussen und damit die Zielerreichung der GLV zu verhindern. Um die Umsetzungsmaßnahmen der GLV kritisch zu reflektieren, ist eine Analyse der Genese sowie der aktuellen Ausprägung des Begriffes Gemeinwohl‘ nötig.

Die Rolle des Gemeinwohls im Zusammenhang mit der GLV

Bereits in der antiken politischen Philosophie, insbesondere bei Platon und Aristoteles, wurde viel über das Gemeinwohl diskutiert. Dabei wurde konstatiert, dass eine gerechte Gesellschaft das Wohl aller ihrer Bürger:innen fördern sollte. Platon betonte, dass das Gemeinwohl wichtiger ist als das individuelle Wohl, da es die Grundlage für eine stabile und gerechte Gesellschaft bildet.[22] Aristoteles betonte die Bedeutung von Tugenden, wie Gerechtigkeit und Solidarität, die zur Förderung des Gemeinwohls beitragen.[23] Cicero entwickelte ein – bis in die Gegenwart wirksames – Konzept der ‚Res publica‘[24], in dem das Gemeinwohl als das Wohl des Staates und der Bürger:innen verstanden wird.[25] Die antiken Philosophen legten somit den Grundstein für die Entwicklung des Konzepts des Gemeinwohls, welches bis heute von hoher Bedeutung ist.

Platon betonte, dass das Gemeinwohl wichtiger ist als das individuelle Wohl, da es die Grundlage für eine stabile und gerechte Gesellschaft bildet. Aristoteles betonte die Bedeutung von Tugenden, wie Gerechtigkeit und Solidarität, die zur Förderung des Gemeinwohls beitragen.

Unter Rückgriff auf das antike politische Denken thematisierten die Philosophen des Deutschen Idealismus in der Neuzeit erneut das Gemeinwohl: Hegel betonte dabei die Bedeutung des Staates als Institution, die das Gemeinwohl fördern sollte. Sein Konzept des „objektiven Geistes“ hebt dabei den Aspekt hervor, dass die Kultur und die Institutionen einer Gesellschaft Ausdruck des kollektiven Bewusstseins sind und das Gemeinwohl fördern sollten.[26]

Der Kommunitarismus,[27] in dem einein Bezug auf das politische Denken von Aristoteles und Hegel besteht, spielt in der Gegenwart eine wichtige Rolle bei der erneuten Diskussion des Gemeinwohls. Insbesondere der Philosoph Charles Taylor betont, dass das Gemeinwohl nicht nur durch individuelle Freiheiten und Rechte erreicht wird, sondern auch durch eine aktive Teilnahme der Bürger:innen an der Gemeinschaft. Er argumentiert, dass die Förderung des Gemeinwohls eine kollektive Aufgabe ist, bei der jede:r Einzelne eine Verantwortung trägt.[28], [29] Die Kommunitarist:innen erweiterten somit das Konzept des Gemeinwohls um eine soziale Komponente und betonten, dass die Förderung des Gemeinwohls nicht ausschließlich eine Angelegenheit der staatlichen Institutionen darstellt, sondern auch von der aktiven Teilnahme und Verantwortung der Bürger:innen abhängt.[30]

Während der Betrachtung der über mehrere Jahrhunderte andauernden Diskussion des Gemeinwohls, wird dessen hohe Bedeutung für die gesellschaftliche Resilienz klar erkennbar. Die kontinuierliche Reflexion und Weiterentwicklung der Grundwerte und demokratischen Prinzipien einer Gesellschaft ist essenziell für deren Fortbestehen. Aus diesem Grund lässt sich ableiten, dass die Bewusstseinsbildung im Lichte dieses klassischen Begriffs von ‚Gemeinwohl‘ die zentrale Aufgabe von GLV sein sollte. Denn nur dadurch kann ein gemeinsames Verständnis darüber geschaffen werden, welche Werte und Interessen für das Wohl des Landes von existenzieller Bedeutung sind. Die Auseinandersetzung mit dem Begriff des Gemeinwohls ermöglicht es, die Bevölkerung im Rahmen der Umsetzungsmaßnahmen für die GLV aktiv in den Prozess aller Arten der Landesverteidigung einzubeziehen und sie für ihre Verantwortung zur Sicherung der staatlichen und gesellschaftlichen Lebensgrundlagen zu sensibilisieren.

Die kontinuierliche Reflexion und Weiterentwicklung der Grundwerte und demokratischen Prinzipien einer Gesellschaft ist essenziell für deren Fortbestehen.

Es überrascht daher nicht, dass der österreichische National- und Bundesrat zur Erreichung der Ziele der GLV bis heute primär Maßnahmen im Bereich der Bildung vorsehen. Dies spiegelt sich unter anderem in der Zuordnung der Aufgaben der GLV zum Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung im Rahmen des Bundesministeriengesetzes sowie in den diversen Erlässen, wie dem Grundsatzerlass politische Bildung, wider.

Umsetzung und Wirksamkeit der ULV

Durch die Bundesregierung werden zahlreiche Maßnahmen zur Stärkung der Wirksamkeit der umfassenden Landesverteidigung (ULV) ergriffen. Dazu zählen die Förderung von Bildung und Medienkompetenz, der Ausbau der Cybersecurity-Maßnahmen, die Intensivierung der Zusammenarbeit mit internationalen Partnern und die Implementierung gezielter Schutzmechanismen.

Bei der Umsetzung dieser Maßnahmen bestehen jedoch zahlreiche Herausforderungen beziehungsweise Hindernisse. Darunter zählen vor allem die politische und gesellschaftliche Akzeptanz, die Ressourcen sowie die Finanzierung, die interdisziplinären Zusammenarbeit der verantwortlichen Stellen und die immer rascher fortschreitenden technologischen Entwicklungen.

Um ein hohes Maß an Resilienz zu erreichen und das effektive Zusammenwirken der Teilbereiche der ULV zu garantieren,[31], [32] müssen die Maßnahmen der Politik zur Umsetzung des durch die Bundesverfassung definierten Rechtsrahmens angemessen und wirksam erfolgen. Dies kann nur durch eine stets auf die aktuelle Situation angepasste Umsetzung von Maßnahmen erreicht werden. Umsetzungsmaßnahmen, welche vor 50 Jahren durchaus effektiv waren, sollten heute nicht einfach fortgeschrieben, sondern stets kritisch reflektiert und gegebenenfalls angepasst werden, um eine systematische Verfehlung des Verfassungsauftrages zu verhindern.

So verhält es sich auch mit der ULV, denn seit den ersten Überlegungen zur ULV im Rahmen der Regierungserklärung von Julius Raab im Juli 1959,[33] der Erstellung des Landesverteidigungsplanes 1985 und dem Inkrafttreten des Unterrichtsprinzips Politische Bildung im Rahmen des Grundsatzerlasses 1978,[34] entwickelten sich neben dem technischen Fortschritt[35] auch die Bedürfnisse der Bevölkerung[36] und die äußeren Bedingungen.[37] Auch die geopolitische Lage Österreichs und die Bedrohungslage[38] veränderte sich beziehungsweise gewann an Bedeutung.[39], [40] Eine retrospektive Betrachtung der Ereignisse der letzten Jahre zeigt, dass es sich nicht um fiktive, subtile und harmlose Bedrohungen handelt, sondern durchaus um ernstzunehmende Gefahren für den sozialen Frieden und die Freiheit der österreichischen Bevölkerung. Aus diesem Grund erfordert die aktuelle Situation notwendigerweise eine verfassungsmäßige Antwort im Sinne der ULV.

Eine retrospektive Betrachtung der Ereignisse der letzten Jahre zeigt, dass es sich nicht um fiktive, subtile und harmlose Bedrohungen handelt, sondern durchaus um ernstzunehmende Gefahren für den sozialen Frieden und die Freiheit der österreichischen Bevölkerung.

Die gesamtheitliche Neugestaltung der UVL

Um angesichts der Bedrohungen durch moderne Formen der kognitiven Kriegsführung und der potenziellen Gefährdung der staatlichen Souveränität und des gesellschaftlichen Zusammenhalts entgegenzuwirken ist es notwendig, die grundlegenden Begriffe im Rahmen der ULV, speziell aber der GLV, nicht übermäßig zu generalisieren, sondern mit Bezug auf die heutige Zeit zu analysieren und zu definieren. Denn ohne ein konkretes und abgestimmtes Verständnis der einzelnen Begriffe und deren Zusammenwirken können keine Ziele gesteckt und Maßnahmen zur Zielerreichung gesetzt werden. Um eine Neugestaltung der Umfassenden Landesverteidigung und vor allem der Geistigen Landesverteidigung durchzuführen, muss daher eine gesamtheitliche Betrachtung ausgehend vom B-VG und mit der Zielsetzung des Gemeinwohles durchgeführt werden.

 

 


Alexander Treiblmaier, Forschungsinteresse: Auswirkungen der technologischen Entwicklungen auf die Führung im militärischen Umfeld. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors. Diese müssen nicht mit jenen des Bundesministeriums für Landesverteidigung übereinstimmen.


Teile dieses Artikels wurden bereits im Rahmen eines Exposees an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien veröffentlicht.

[1] Sowohl die NATO, als auch der Warschauer Pakt setzten während des Kalten Krieges auf Propaganda, um ihre jeweilige ideologische Agenda zu verbreiten. In Österreich wurden Radiosender wie „Radio Free Europe“ und „Radio Moscow“ genutzt, um ideologische Botschaften zu senden und die Meinungsbildung der Bevölkerung zu beeinflussen.

[2] Sowohl der Westen, als auch der Osten verbreiteten gezielte Fehlinformationen, um das Vertrauen in politische Institutionen zu untergraben und Unsicherheit zu erzeugen. In Österreich gab es zahlreiche Versuche, durch die Verbreitung falscher Informationen und Gerüchte politische Instabilität zu schüren.

[3] Psychologische Operationen (PsyOps) wurden eingesetzt, um das Denken und Verhalten der Bevölkerung zu beeinflussen. In Österreich führten sowohl die NATO als auch der Warschauer Pakt geheime PsyOps durch, um die öffentliche Meinung zu manipulieren und politische Ziele zu erreichen.

[4] Beide Seiten engagierten sich in subversiven Aktivitäten, um die politische Landschaft in Österreich zu beeinflussen. Dies umfasste die Unterstützung oppositioneller Gruppen, die Verbreitung extremistischer Ideen und die Förderung von Spaltung und Konflikten innerhalb der Gesellschaft.

[5] Bundesministerium für auswertige Angelegenheiten, Jahrbuch der österreichischen Außenpolitik: Außenpolitischer Bericht 1988, (Wien: Manz, 1988), 66-76.

[6] Art. 9a B-VG 2005, BGBl. I Nr. 106/2005.

[7] Quelle: Autor.

[8] Bundesverfassungsgesetz Absatz 2, Artikel 9a (1) und (2).

[9] Nationaler Sicherheitsrat, Beschluss des Nationalen Sicherheitsrates vom 25. Februar 2022 betreffend die Aufrechterhaltung der „Umfassenden Landesverteidigung“, (Wien: Parlament, 2022), 2.

[10] Quelle: Autor.

[11] Republik Österreich Parlament, 2019, „Welche Staatsziele gibt es in Österreich und was können sie bewirken?,“ zuletzt geprüft am August 23, 2021, https://fachinfos.parlament.gv.at/politikfelder/parlament-und-demokratie/welche-staatsziele-gibt-es-in-oesterreich-und-was-koennen-sie-bewirken/.

[12] Diese Resilienz drückt sich in diesem Fall in Form einer „Belastbarkeit“ aller Bereiche und der Fähigkeit nach Wegfall bzw. Bewältigung der Bedrohung wieder in den Ausgangszustand (oder verbessert) zurückzukehren aus. Siehe: Gabriela B. Christmann, Karsten Balgar, Nicole Mahlkow, Zur sozialwissenschaftlichen Konzeption von Vulnerabilität und Resilienz, In: Martin Endreß, Andrea Maurer, Resilienz im Sozialen: Theoretische und empirische Analysen, (Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2015), 123-149.

[13] Der Landesverteidigungsplan 1985 geht auf das Jahr 1975 zurück und wurde aufgrund der sicherheitspolitischen Entwicklungen in Europa nach 1989 und dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union obsolet.

[14] Bundeskanzleramt Österreich, Landesverteidigungsplan, (Wien: Bundeskanzleramt, 1959), 92.

[15] Idem.

[16] Ibid., 92-93.

[17] Idem.

[18] Chinesischer General und Militärstratege ist auch als Sunzi oder Sun Tsu bekannt.

[19] J. Clavell and W. Sun, (Hrsg.), Die Kunst des Krieges [8. Aufl.], (München: Drömer Knaur, 1996).

[20] Edgard Schumacher, Unser Wehrwille. Schweizer Rundschau, Zürich, (1941), 261-271.

[21] Benedict Anderson, Die Erfindung der Nation: Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts (2. Aufl.), (Frankfurt am Main, Campus-Verlag, 2005), 14.

[22] Marianne Heimbach-Steins, Christliche Sozialethik, (Regensburg: Verlag Friedrich Pustet, 2004), 272-276.

[23] Barbara Reiter. Vom Gemeinwohl in der Antike, In: Christian Hiebaum, Handbuch Gemeinwohl, (Wiesbaden: Springer, 2022), 11-25.

[24] Cicero, De re publica/Vom Staat, hrsg. und übers. von M. Albrecht, (Ditzingen: Reclam, 2013).

[25] Harald Merklin, Cicero, Über das Gemeinwesen (51 v. Chr.), In Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch, Hrsg. Manfred Brocker, (Frankfurt: Suhrkamp, 2006), 47–62.

[26] G. W. F. Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundriss, 3, Auflage nach Erstdruck 1817 (Heidelberg: Henricus, 2014), 324-334.

[27] Unter dem Begriff der „Communitarians“ wird jene politische Philosophie verstanden, welche sich unter anderem durch Charles Taylor in den Vereinigten Staaten von Amerika entwickelt hat.

[28] Charles Taylor. Negative Freiheit? Zur Kritik des neuzeitlichen Individualismus, (Berlin: Surkamp, 1988), 147-155.

[29] Ein weiterer relevanter Vertreter der Kommunitaristen in diesem Bezug ist Michael Walzer, (Michael Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, Ursprünglich erschienen als Spheres of Justice. A Defense of Pluralism and Equality, (New York: Campus, 1983)).

[30] Niels Weidtmann, Fernando Wirtz, Adrian Razvan Sandru. Nicht-westliche Gemeinwohlkonzeptionen, In: Christian Hiebaum, Handbuch Gemeinwohl, (Wiesbaden: Springer 2022), 259-274.

[31] Bekräftigt wird dies durch (Bacher, Sozialstruktur und Wertewandel in Österreich, 2018), (Merkel/Lührmann, Resilience of democracies, 2021), (Jürs/Schuh/Wirtitsch, In Verteidigung der Demokratie: Bildungspolitische Auseinandersetzung mit dem Konzept der Geistigen Landesverteidigung, 2021).

[32] Eben diese Hypothese bildet den Ausgangspunkt für die weiteren Untersuchungen zur Ausgestaltung der GLV. Dies v.a. im Lichte der Aussage Fichtes, dass es die Aufgabe des Staatsrechtes bzw. der Rechtsphilosophie ist „einen Willen zu finden, von dem es schlechthin unmöglich sey, dass er ein anderer sey [sic!] als der gemeinsame Wille.“ Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, (Jena: Gabler 1976), 180;Weiters relevant:(Stadler, Fichtes Grundlegung des ethischen Idealismus, 1996), (Stadler, Freiheit in Gemeinschaft. Zum transzendentalen Rechtsbegriff Fichtes, 2000).

[33] Österreichisches Parlament (1959, Juli), Stenographisches Protokoll: 3. Sitzung NR IX, GP, Juli 1959, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/IX/NRSITZ/NRSITZ_00003/imfname_156653.

[34] Der Grundsatzerlass wurde seitdem mehrfach überarbeitet. Zuletzt erfolgte dies im Jahr 2015.

[35] Dies ist die fortschreitende Digitalisierung und damit verbunden eine höhere Bedrohung durch Fake News aber auch ein steigendes Risiko von Internetkriminalität und durch die intensivere Vernetzung eine größere Auswirkung von großflächigen Stromausfällen (Blackout). Relevante Literatur ist: (Thiel, Digitalisierung: Gefahr für die Demokratie?, 2018), (Kröhling, Digitalisierung – Technik für eine nachhaltige Gesellschaft?, 2021).

[36] Hier sind vor allem die unterschiedlichen Eigenschaften der Bevölkerung und der Wandel im Arbeitsmarkt von Relevanz. Relevante Literatur ist (Klaffke, Generationen-Management, 2014).

[37] Hier können unzählige Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte angeführt werden. Besonders relevant für die folgende Analyse sind nach der Meinung des Verfassers der Beitritt zur Europäischen Union 1995, der internationale Terrorismus und seine Auswirkungen auf Österreich ( Migration), der Krieg in der Ukraine und die Erkenntnis der unterschiedlichen Abhängigkeiten (Gas, Öl, …).

[38] Auf weitere identifizierte Bedrohungen wird in weiterer Folge detailliert eingegangen.

[39] Zusammengefasst und analysiert werden diese im Rahmen einer Publikation herausgegeben vom Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement des Bundesministeriums für Landesverteidigung. Diese trägt den Titel: „Risikolandschaft Österreich 2022“ und betrachtet erkannte, mögliche, wahrscheinliche, sehr wahrscheinliche und aktuelle Risiken und Vorfälle, welche auf Österreich wirken können bzw. bereits wirken. Bundesministerium für Landesverteidigung. Sicher Und morgen? Risikolandschaft Österreich 2022. (Wien: Bundesministerium für Landesverteidigung, 2022).

[40] Dies sind Russland in Konfrontation zu Europa, COVID-19, Blackout, Terroranschläge, Gesellschaftliche Polarisierung, massive Migrationsströme nach Österreich, Spannungen EU-China.

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