ArtikelDeutsche Artikel

Freiwillige Strukturen stärken statt Neue erfinden

Abstract: Im Rahmen der Pandemie-Krisenreaktion wurden in Österreich unmittelbar Streitkräfte zur Unterstützung von zivilen Behörden eingesetzt. Bernhard Schulyok diskutiert in seinem Artikel „Herausforderungen in der Zukunft erfordern neue Wege“ die Vor- und Nachteile dieser Einsätze und fordert die Etablierung eines neuen freiwilligen, wenn auch bezahlten, Dienstes, das „Freiwillige Gesellschaftsjahr für alle“. Im vorliegenden Artikel argumentiert der Autor warum dieser neue Dienst keinen gesellschaftlichen Mehrwert bringen und auch das Bundesheer nicht entlasten würde, sondern, dass die Stärkung bestehender, eingespielter und funktionierender Strukturen wichtiger wäre.

Bottom-line-up-front: Die Pandemie hat auch Österreich gesamtstaatlich gefordert. Die beruflichen und freiwilligen Krisenreaktionsstrukturen haben sich grundsätzlich bewährt. Anstatt neue Strukturen aufzubauen, sollten bestehende gestärkt werden.

Problemdarstellung: Wie kann Österreich durch einen Mix aus beruflichen und freiwilligen Strukturen seine gesamtstaatliche Resilienz stärken und so zukünftigen Krisen besser begegnen?

Was nun?: Österreich, nicht nur der Bund, sondern auch die Länder und Gemeinden, muss freiwilliges und ehrenamtliches Engagement fördern und dessen Strukturen stärken. Gleichzeitig muss mit bezahlten Unterstützungsleistungen und Assistenzeinsätzen des Bundesheeres restriktiv umgegangen werden.

Source: shutterstock.com/LukeOnTheRoad

In seinem Beitrag „Herausforderungen in der Zukunft erfordern neue Wege“[1] diskutiert Bernhard Schulyok den Einsatz von Streitkräften in Deutschland und Österreich als Teil des Krisenmanagements im Rahmen der COVID-19 Pandemie. Er unterstreicht den erfolgreichen Einsatz der Streitkräfte, äußert sich jedoch auch kritisch. Streitkräfte als Ultima Ratio eines Staates und strategische Handlungsreservesind ein legitimes Mittel, um rasch auf Krisen reagieren zu können. Gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass es zu einer „Überdehnung“ der Streitkräfte kommt und damit der militärische Grundauftrag, respektive die dafür vorgesehenen Fähigkeiten und Fertigkeiten, zu kurz komm und nicht mehr erfüllt werden kann.

Streitkräfte als Ultima Ratio eines Staates und strategische Handlungsreservesind ein legitimes Mittel, um rasch auf Krisen reagieren zu können.

Er stellt in der Folge die berechtigte Forderung, dass die gesellschaftspolitischen Instrumente für das Krisenmanagement gestärkt werden müssen und schlägt als möglichen Lösungsansatz ein „Freiwilliges Gesellschaftsjahr für alle“ in Österreich vor. Dieses solle als Ergänzung zum verpflichtenden Grundwehrdienst dienen, vielfältige Möglichkeiten für ein gesellschaftliches Engagement bieten und damit die Resilienz Österreichs stärken. Das Ziel dieses Vorschlages liegt damit zum einen in einer Entlastung von Streitkräften und zum anderen in einer Stärkung der zivilen Instrumente beziehungsweise der gesellschaftlichen Resilienz.

In seiner Argumentation unterschätzt Bernhard Schulyok augenscheinlich das Potenzial des bereits vorhandenen Ehrenamts und freiwilligen Engagements in Österreich. Gleichzeitig würde das von ihm vorgeschlagene freiwillige Gesellschaftsjahr in einer Krise den Arbeitskräftemangel in bestimmten Branchen nicht verhindern und schließlich schlägt er etwas vor, das es im Grund schon gibt. Viel wichtiger wäre daher nicht die Etablierung neuer Programme, die an sich wenig Mehrwert besitzen und auch das Bundesheer nicht entasten würden, sondern die Stärkung bereits bestehender, funktionierender Strukturen.

Österreich, ein Land der Freiwilligen

Die österreichische Gesellschaft stützt sich in vielen Bereichen auf ein funktionierendes Netzwerk von Freiwilligen und ehrenamtlich tätigen Personen. Nach Angabe des Freiwilligenberichtes 2019 des österreichischen Sozialministeriums übten 46% der Österreicherinnen und Österreicher eine Freiwilligentätigkeit im formellen oder informellen Bereich aus.[2] Damit ist Österreich im europäischen Vergleich (Durchschnitt 23%) ein Spitzenreiter.[3] Eine Studie der Wirtschaftsuniversität Wien ergab bereits im Jahr 2012 eine geschätzte Wertschöpfung von neun Milliarden Euro und damit ein Äquivalent von 2,8% des BIP (2012).[4] Vereine und freiwilliges Engagement sind damit in Österreich ein wesentliches „Schmiermittel“ der sozialen Kohäsion. Das zeigte sich auch in der Corona-Pandemie. Nicht nur das Bundesheer leistete einen wesentlichen Beitrag, sondern auch freiwillige und ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, sowohl im informellen Bereich, zum Beispiel der Nachbarschaftshilfe, als auch im formellen Bereich, beispielsweise den Rettungsdiensten und der Feuerwehr.

Vereine und freiwilliges Engagement sind damit in Österreich ein wesentliches „Schmiermittel“ der sozialen Kohäsion. Das zeigte sich auch in der Corona-Pandemie.

Soziales Engagement ist auch eine Frage der Ausbildung

Bernhard Schulyok postuliert: „Alle systemrelevanten Aufgaben können mittels ‚Freiwilligen Gesellschaftsjahr für alle‘ abgedeckt werden“.[5] Er führt die Personalengpässe im Gesundheitswesen, der Kinder- und Altenbetreuung und in den Verteilzentren (Post und Lebensmittelhandel, Anmerkung des Verfassers) an.[6] Diese Personalengpässe könnte auch ein freiwilliges Gesellschaftsjahr nicht abdecken. Zum einen bedürfen gerade Gesundheits- und Betreuungsberufe einer fundierten Ausbildung. Gerade in einer Krise muss man hier auf bereits gut ausgebildetes und erfahrenes Personal zurückgreifen. Ein schnelles „Anlernen“ von Freiwilligen ist hier wohl keine Lösung.

Zum anderen besteht genau das Gegenteil in der Tätigkeit von Verteilzentren. Hier ist größtenteils eine relativ kurze Anlernphase ausreichend. Allerdings sind diese Verteilzentren auch Teil von gewinnorientierten Unternehmen. Das Bundesheer hat deswegen die Unterstützungsleitungen auch verrechnet. Ein Einsatz von Freiwilligen in gewinnorientierten Unternehmen ist der falsche Ansatz.

Ausreichend Programme vorhanden

Neben den freiwilligen und ehrenamtlichen Tätigkeiten in Vereinen, Klubs, und dergleichen sowie in der Nachbarschaftshilfe gibt es bereits heute eine Anzahl von freiwilligen, aber bezahlten, Diensten. Neben dem Sozialjahr existiert auch das Umweltschutzjahr, das Integrationsjahr und die Gedenk-, Friedens- und Sozialdienste im Ausland, sowie den Europäischen Freiwilligendienst beziehungsweise das Europäische Solidaritätscorps.[7] Diese bilden bereits heute ein breites Spektrum an Interessens- und Ausgabengebieten ab. Die Notwendigkeit für ein zusätzliches „freiwilliges Gesellschaftsjahr für alle“ erscheint fraglich.

Bestehende Strukturen stärken und gezielte Arbeitsmarktpolitik implementieren

Österreich ist im europäischen Vergleich ein Spitzenreiter in der Freiwilligenarbeit und kann zu Recht stolz darauf sein. Der Einsatz von Streitkräften und freiwilligen Hilfsorganisationen im Rahmen der Krisenreaktion hat sich bewährt. Gleichzeitig muss aber auch festgestellt werden, dass diese Einsätze nur kurzfristige Reaktionsmechanismen sind und keine Dauerleistung sein können beziehungsweise dürfen. Hier braucht es arbeitsmarktpolitische Maßnahmen. Die Pandemie hat auch gezeigt, dass personelle Sparmaßnahmen unter dem Schlagwort der „Effizienzsteigerung“ in den vergangenen Jahren viele Personalreserven dahinschmelzen ließen. Diese haben nun in der Krise gefehlt.

Der Einsatz von Streitkräften und freiwilligen Hilfsorganisationen im Rahmen der Krisenreaktion hat sich bewährt. Gleichzeitig muss aber auch festgestellt werden, dass diese Einsätze nur kurzfristige Reaktionsmechanismen sind und keine Dauerleistung sein können beziehungsweise dürfen.

Das „freiwillige Gesellschaftsjahr für alle“ bringt sowohl in der Krisenreaktion als auch in der Arbeitsmarktpolitik nicht den geforderten Mehrwert. Ebenso entlastet es auch das Bundesheer nicht. Hier wäre es hinsichtlich der Krisenreaktion wichtiger bestehendes freiwilliges und ehrenamtliches Engagement zu fördern und funktionierende Strukturen zu stärken. Diesbezügliche Maßnahmen, wie zum Beispiel Internet-Informationsplattformen, bezahlte Freistellungen und dergleichen sind bereits ausgearbeitet und wurden zum Teil schon umgesetzt. Andere Maßnahmen, wie zum Beispiel steuerliche Vorteile für freiwilliges und ehrenamtliches Engagement, warten noch auf ihre Umsetzung. Bevor also neue Strukturen geschaffen werden, sollten die bereits ausgearbeiteten Maßnahmen konsequent umgesetzt werden.

Hinsichtlich der Arbeitsmarktpolitik müsste der Staat zum einen zusätzliche Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität von bestimmten Berufsgruppen, zum Beispiel im Pflegebereich, setzen und zum anderen restriktiv mit bezahlten Unterstützungsleistungen und Assistenzeinsätzen des Bundesheeres umgehen. Damit würde der Druck erhöht werden, Menschen einen Job anzubieten und nicht längerfristig auf das Bundesheer zurückzugreifen.


Lukas Bittner; Forschungsinteressen: Sicherheitspolitik, Militär-, Kriegs- und Konfliktentwicklung, hybride Konflikte. Zahlreiche Einzelartikel in Fachjournalen und Kommentare zur Sicherheitspolitik in österreichischen Tageszeitungen. Analysiert insbesondere zukünftige Konfliktentwicklungen und damit verbundene Ableitungen für Streitkräfte. Ist seit mehr als zwei Jahrzehnten im freiwilligen Feuerwehrwesen und dem Katastrophenschutz tätig. Bei den in diesem Artikel vertretenen Ansichten handelt es sich um die des Autors. Diese müssen nicht mit jenen des Bundesministeriums für Landesverteidigung übereinstimmen.


[1] Bernhard Schulyok, Herausforderungen in der Zukunft erfordern neue Wege, https://www.thedefencehorizon.org/post/herausforderungen-in-der-zukunft-erfordern-neue-wege.

[2] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 3. Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich – Freiwilligenbericht 2019, 16.

[3] Bundesministerium für Integration und Äußeres, Broschüre „Engagement in Österreich – Freiwilligenarbeit und Ehrenamt,“ 8.

[4] Manuel Mayr, Freiwilligenarbeit als erfreuliche Schattenwirtschaft, DiePresse.com, https://www.diepresse.com/5756023/freiwilligenarbeit-als-erfreuliche-schattenwirtschaft.

[5] Bernhard Schulyok, Herausforderungen in der Zukunft erfordern neue Wege, https://www.thedefencehorizon.org/post/herausforderungen-in-der-zukunft-erfordern-neue-wege.

[6] Idem.

[7] Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, 3. Bericht zum freiwilligen Engagement in Österreich – Freiwilligenbericht 2019, 37-42.

You may also like

Comments are closed.