Soldaten im Dilemma
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Die Lehre des gerechten Krieges als Militärethik

Abstract: Im Zuge der fortschreitenden Technologisierung und Komplexität moderner Kriegsführung sehen sich Entscheidungsträger:innen zunehmend ethischen Dilemmata ausgesetzt. Die Fähigkeit, in potenziell manipulierten Informationslagen moralisch verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, ist von größter Bedeutung für die Wahrung der humanen Kriegsführung gemäß der Genfer Konventionen.

Kognitive Kriegsführung beeinflusst nicht nur die Informationslage der gegnerischen Zivilbevölkerung, sondern auch das Verhalten von Militärangehörigen durch die gezielte Manipulation von Informationen. Das kann dazu führen, dass Militärangehörige zugunsten der gegnerischen Seite handeln. Indem Militärangehörige die Lehre des gerechten Krieges (eng. Just War Theory) als Militärethik verstehen, zum Beispiel die verankerten, moralischen Prinzipien für das Recht im Krieg (lateinisch: ius in bello) als Entscheidungstheorie anwenden, werden sie befähigt, Handlungen moralisch besser zu bewerten.

Problemdarstellung: Wie wird sichergestellt, dass Militärangehörige moralische Entscheidungen treffen und die humane Kriegsführung wahren?

Was nun?: Entscheidungsträger:innen sollten durch gezielte Trainings darauf vorbereitet werden, kritisch mit Informationen umzugehen, um sich vor Manipulationen zu schützen. Militärangehörige sollten unüberprüfbare Informationen infrage stellen und moralische Kriterien in Entscheidungsfindungen reflektieren.

Source: shutterstock.com/Daniele Raffanti

Neue Herausforderungen in Zeiten kognitiver Kriegsführung – Die Lehre des gerechten Krieges als Antwort?

Angesichts der fortschreitenden Technologisierung und der zunehmenden Komplexität kognitiver Konflikte sehen sich Entscheidungsträger:innen mit der Herausforderung manipulierter Informationslagen konfrontiert. In kognitiven Konflikten wird durch die gezielte Verbreitung von Informationen das Denken, die Entscheidungsprozesse und das Handeln von Streitkräften beeinflusst. Ein Ziel der kognitiven Kriegsführung besteht darin, Militärangehörige in ihrer Entscheidungsfindung zu verunsichern, um einen Vorteil aus ihrem Zögern zu ziehen. Kognitive Beeinflussung kann dazu führen, dass sich Militärangehörige über die Richtigkeit der ihnen vorliegenden Informationen nicht sicher sein können. Diese Unsicherheit hinsichtlich der Validität und Vollständigkeit der Informationen kann die Fähigkeit, verantwortungsbewusste Entscheidungen zu treffen, beeinträchtigen. Die Konsequenzen können für das Handeln erheblich sein. Es droht neben der Beeinflussung im schlimmsten Falle das Risiko der Handlungsunfähigkeit. Daher werden Lösungsansätze benötigt, um die Fähigkeit der Streitkräfte, Entscheidungen zu treffen und umzusetzen, wieder zu stärken. Die Lehre des gerechten Krieges könnte als Militärethik dazu beitragen, Entscheidungen zu erleichtern.

Kognitive Beeinflussung kann dazu führen, dass sich Militärangehörige über die Richtigkeit der ihnen vorliegenden Informationen nicht sicher sein können.

Im Folgenden wird für die Anwendung der Lehre des gerechten Krieges als Militärethik im Sinne einer angewandten Bereichsethik des Militärs argumentiert. Der Vorschlag beinhaltet, die moralische Kriegsführung in Form einer Entscheidungstheorie in die Militärethik zu integrieren. In einem ersten Teil wird die Bedeutung moralischer Kriegsführung im Lichte kognitiver Kriegskonflikte erklärt. Der zweite Teil geht näher auf Strömungen und Herausforderungen innerhalb der Lehre des gerechten Krieges ein, die bei der Umsetzung einer Militärethik problematisch werden könnten. Der dritte Teil veranschaulicht die Moralität von Kriegssituationen anhand drei grundlegender in bello Prinzipien. Daraufhin werden in einem vierten Teil Argumente gegen erhobene Einwände präsentiert und erklärt, wie die Lehre des gerechten Krieges insbesondere in Zeiten kognitiver Kriegsführung dennoch ihren Platz als Militärethik findet.

Im Kontext der kognitiven Kriegsführung gestaltet sich die Bezeichnung „Krieg“ als äußerst komplex. Die rechtliche Regulierung der kognitiven Kriegsführung ist bisher unzureichend erfasst, da kognitive Kriegsführung keine konventionelle Kriegsgewalt umfasst.[1] Es stellt sich daher die Frage, ob die Lehre des gerechten Krieges in kognitiven Kriegskonflikten überhaupt Anwendung findet. In der traditionellen Lehre des gerechten Krieges werden hauptsächlich Kriege betrachtet, die durch förmliche Kriegserklärungen (und weitere ad-bellum-Prinzipien) eingeleitet werden und sich in konventionellen Kampfhandlungen zwischen zwei legitimen Autoritäten, beispielsweise Staaten, abspielen. Jedoch zeigten hybride und asymmetrische Kriege, dass Informationskonflikte weit vor herkömmlichen Kampfhandlungen beginnen können. Die Anzeichen kognitiver Kriegsführung, wie die Unterbindung gegnerischer Informationskanäle und die Verhängung von Sanktionen sind bereits Anzeichen für einen Informationskonflikt, der weit vor einem bewaffneten Konflikt entstehen kann. In der sich wandelnden Kriegsführung gestaltet sich die Bestimmung eines Kriegszustandes als zunehmend schwierig. Demzufolge kann nach der traditionellen Lehre des gerechten Krieges kognitive Kriegsführung vor einer offiziellen Kriegserklärung nicht als Krieg bezeichnen. Unabhängig von diesen formalen Bezeichnungen findet die Lehre des gerechten Krieges in dieser Phase des Konflikts ihren Nutzen, zum Beispiel im Kriegsgeschehen (in bello) als eine normativen Entscheidungstheorie für Streitkräfte.

Kognitive Kriegsführung

Die fortschreitende Digitalisierung macht die kognitive Kriegsführung zu einem zunehmend komplexen Phänomen in Konfliktszenarien. Der Informationskrieg ist in seiner modernen Erscheinung eine Kriegsführung mit hauptsächlich technischen Mitteln – eine maßgebliche Folge der technologischen Entwicklung.[2] Er bringt eine Vielzahl neuer Bedrohungen mit sich. Informationen sind nicht nur schneller zugänglich, auch Informationsträger aller Arten, Online- wie Printmedien beeinflussen das Denken, Handeln und die Entscheidungen der gegnerischen Seite.

Der Informationskrieg ist in seiner modernen Erscheinung eine Kriegsführung mit hauptsächlich technischen Mitteln – eine maßgebliche Folge der technologischen Entwicklung.

In Informationskriegen im Allgemeinen und in der kognitiven Kriegsführung im Spezifischen besteht das Ziel darin, die Informationslage systematisch zu streuen, um die Entscheidungen und die Handlungen der Gegner:innen gezielt zu beeinflussen. Oft sind Informationen nicht unmittelbar und unabhängig nachprüfbar, sondern entsprechen dem Narrativ einer Kriegsseite.[3] Die kognitive Kriegsführung als eine Form des Informationskriegs dient hauptsächlich der Umsetzung der folgenden zwei Ziele: dem Sammeln von Informationen sowie dem gezielten Veröffentlichen von Informationen. Dabei stehen die Akkumulation, der Transport, der Schutz, die Verweigerung und die Manipulation von Informationen im Fokus.[4] Es ist hervorzuheben, dass die kognitive Kriegsführung nicht unbedingt auf die Verbreitung von Falschinformationen angewiesen ist. Auch durch kontrolliertes Informationsleaking können militärische Geheiminformationen verbreitet werden und unter geeigneten Umständen Unstimmigkeiten hervorrufen, welche die gegnerische Partei beeinflussen.[5]

Anders als konventionelle Kriegsführung findet die kognitive Kriegsführung nicht unbedingt auf einem staatlichen Territorium statt. Paul Ottewell, Kriegsoffizier der UK Royal Navy, verortete den Kampfplatz in der individuellen und kollektiven Wahrnehmung einer Situation,[6] auf der kognitiven Ebene in der Wissensaufnahme. Die Beeinflussung geschehe durch den Konsum von Medien, Gespräche oder andere epistemische Prozesse. Laut Georg Kunovjanek werden Informationen als „Waffe in modernen Konflikten“[7] betrachtet, da sie darauf abzielen, Entscheidungsträger:innen auf verschiedenen Ebenen kognitiv zu beeinflussen. Kognitive Kriegführung wirke auf einer individuellen Ebene, erstrecke sich auf den geistigen Raum und umfasse politische, militärische sowie psychologische Strategien. Der Fokus werde primär daraufgelegt, das gegnerische System durch gezielte Manipulation des psychischen und kognitiven Raums der Einzelpersonen zu beeinflussen.[8]

Die zahlreichen Techniken, die dabei zum Einsatz kommen, sind äußerst vielfältig.[9] Es werden zunächst gezielt Informationen gesucht, die durch technische Mittel wie Werbung oder Cookie-Einstellungen auf digitalen Geräten und in sozialen Netzwerken gesammelt und von Algorithmen verarbeitet werden.[10] Die Daten werden daraufhin für eigene Kriegszwecke mit dem Ziel verwendet, Menschen kognitiv zu beeinflussen, um taktische und operative Vorteile zu erlangen.

Mediale Plattformen spielen eine zentrale Rolle in der Informationsvermittlung, da sie über eine hohe Reichweite unter der Bevölkerung verfügen. Durch ihre Berichterstattung gestalten sie das öffentliche Meinungsbild über das Kriegsgeschehen mit und sind daher in der Lage, Krisen zu lenken. Insbesondere in den sozialen Medien werden Informationen subtil über Blogger:innen und Influencer:innen verbreitet. Dabei werden Narrative gezielt genutzt, um die gegnerische Seite von eigenen Standpunkten zu überzeugen.[11] Sie vermischen sich mit eigenen Erfahrungen und Überzeugungen. Auf diese Weise werden Ideen und individuelle Wahrnehmungen konstruiert.[12] Auch staatliche Medienunternehmen werden zur kognitiven Kriegsführung eingesetzt. Sie verfolgen dabei zwei Aufgaben gleichzeitig, welche mit den Herausforderungen der Balance zwischen Propaganda und Unterstützung der Staatsmedien einherkommen: Obwohl sie authentische Informationen vermitteln und ihrer Pflicht zur wahrheitsgetreuen Informationsvermittlung nachkommen, besteht dennoch die Absicht, die eigene Bevölkerung von der Legitimität des Krieges zu überzeugen, nicht zuletzt, weil sie eine breite Unterstützung der Bevölkerung benötigen, um das Militär zu mobilisieren.[13]

Die strategischen Maßnahmen nehmen unterschiedliche Zielgruppen ins Visier. Einerseits dienen das Sammeln, die Aufarbeitung und das gezielte Verbreiten von Informationen dazu, die gegnerische Zivilbevölkerung zu beeinflussen. Durch Veröffentlichungen zu geeigneten Zeitpunkten und über das entsprechende Medium kann zum Beispiel eine allgemeine Unzufriedenheit und negative Stimmung der gegnerischen Zivilbevölkerung erzeugt werden, sodass die Unterstützung für den Krieg innerhalb des Staates oder gegebenenfalls von Alliierten sinkt. In dem Fall wird die breite Masse der Bevölkerung anvisiert. Andererseits zielt die kognitive Kriegsführung auch auf gegnerische Militärangehörige ab. Die Beeinflussung der gegnerischen Streitkräfte stellt einen wesentlichen taktischen Vorteil dar, da sie zu Handlungen bewegt werden, die zu Gunsten der eigenen Partei wirken.[14] Auf diese Zielgruppe wird im Folgenden der Fokus gelegt.

Mit dem Ziel, Militärangehörigen und Zivilpersonen nur begrenzten Zugang zu Informationen zu gewähren und die Informationslage zu kontrollieren, umfassen Maßnahmen staatlicher Einrichtungen während Informationskriegen üblicherweise Zensur, Internetblockaden, das Sperren von staatlichen und sozialen Medien sowie sonstigen Kommunikationskanälen. Sogar das Abschalten eigener Medien kann dem Vorhaben dienen. Ebenso wird versucht, die Medien des Gegners aktiv zu blockieren, um alternative Kriegsberichterstattungen zu unterbinden.[15] Es wurden beispielsweise seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine in der Mehrheit der westlichen Länder Europas Sanktionen gegenüber Russland verhängt, die zur Sperrung russischer Medien führten. Auch auf russischer Seite sind mit den NATO-Ländern assoziierte Medienunternehmen starker Regulierung und Zensur unterbunden.[16] Bereits 2015 stellten Kenneth Geers et al. im Sammelband Cyber War in Perspective: Russian Aggression against Ukraine unterschiedliche Aspekte des Informationskrieges zwischen Russland und der Ukraine dar, die auch Praktiken der kognitiven Kriegsführung näher erläutern.[17] Auch während asymmetrischen Konflikte, wie etwa im Fall von Myanmar und Äthiopien, wurden zeitweilig Internetsperren im Kontext von Aufständen und Putschversuchen verhängt, um die Verbreitung von Information zu kontrollieren.[18]

Um wirksam gegen kognitive Kriegsführung vorzugehen, ist es entscheidend, neben technischen Abwehrmechanismen auch auf das kritische Denkvermögen von und Entscheidungsträger:innen zu setzen. Das Bewusstsein über die Informationslage sowie die Fähigkeit, Informationen kritisch zu hinterfragen, entwickeln sich vor allem im Geist der Entscheidungsträger:innen. Daher sollte der Fokus auf der Stärkung der ‚kognitiven Waffe‘ – dem kritischen Denken – liegen, um den Herausforderungen der kognitiven Kriegsführung effektiv zu begegnen. Kritisches Denken wird im Rahmen dieses Beitrages als eine eigenständige Überprüfung der Informationslage sowie dem Hinterfragen von gegebenen Informationen verstanden.[19] Zwar lassen sich Informationen in Kriegen aufgrund zweiseitiger Narrativen nicht immer unabhängig überprüfen, die Moralität von Handlungen kann jedoch auch ohne neutrale Informationen, beispielsweise anhand moralischer Kriterien der Lehre des gerechten Krieges überprüft werden. Dieser Vorgang wird im nachfolgenden Abschnitt näher erläutert.

Um wirksam gegen kognitive Kriegsführung vorzugehen, ist es entscheidend, neben technischen Abwehrmechanismen auch auf das kritische Denkvermögen von und Entscheidungsträger:innen zu setzen.

Die Lehre des gerechten Krieges als Militärethik

Die Lehre des gerechten Krieges (eng. Just War Theory) ist eine philosophische Strömung innerhalb der Kriegsethik, in der sich mit moralischen Problematiken im Krieg auseinandersetzt und ein Mittelweg zwischen Pazifismus und Realismus gesucht wird.[20] Die Theorie basiert auf der Annahme, dass Krieg unter bestimmten Voraussetzungen moralisch gerecht sein könnte. Es wird sich hierin spezifisch mit den ethischen Fragen rund um Kriege und militärische Handlungen befasst. Außerdem werden vor Kriegsbeginn die Bedingungen untersucht, unter denen ein militärischer Einsatz gerechtfertigt sein könnte (ius ad bellum) sowie während des Kriegsgeschehens die ethischen Grundsätze angewendet, die bei der Kriegsführung beachtet werden sollten (ius in bello).[21] Dabei werden aus verschiedenen Kriterien zudem normative Konsequenzen abgeleitet, die bedingen, wie sich unterschiedliche Akteure vor Kriegsbeginn, während des Krieges und gegebenenfalls nach Kriegsende zu verhalten haben. Während die Moralität eines potenziellen Krieges vor Kriegsbeginn (ad bellum) hauptsächlich die Angelegenheit politischer Entscheidungsträger:innen darstellt, wird sie im Kriegsverlauf (in bello) auch zu der von Militärangehörigen. Da der Fokus dieses Beitrages auf der Entscheidungsfindung von Streitkräften liegt und diese die meisten moralischen Entscheidungen während des Kriegsgeschehens treffen,[22] wird im Folgenden ausschließlich auf die in-bello-Prinzipien eingegangen.

Die Lehre des gerechten Krieges basiert auf der Annahme, dass Krieg unter bestimmten Voraussetzungen moralisch gerecht sein könnte.

In jüngsten Publikationen wird die Perspektive der Soldat:innen stärker in den Fokus gerückt, wodurch sogar die Sprache von einem soldier’s turn („Die Wende zum Soldaten“[23]) ist.[24] Obwohl die Entscheidung, einen Krieg zu führen, nicht Militärangehörige selbst tätigen selbst, liegt die Verantwortung für die Ausführung der Kriegshandlungen letztendlich bei den Streitkräften selbst. Das kann anhand ihrer Vertrags- und Eidespflichten, den Erwartungen der Mitbürger:innen oder ihrer bürgerlichen Pflicht, das gemeinsame Gut eines friedlichen Nationalstaates zu bewahren, argumentiert werden. Vor dem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die Entscheidungsfindung direkt aus der Perspektive der Militärangehörigen zu diskutieren. Durch die Betrachtung der Lehre des gerechten Krieges als angewandte Militärethik wird das Verhalten des Militärs im Krieg auf moralischer Ebene reguliert. Dabei schließen sich unterschiedliche Ansätze innerhalb der Militärethik nicht unbedingt aus. Tugendethische und charakterbasierte Ansätze, wie etwa von Anthony Pfaff vorgeschlagen,[25] könnten als Lückenfüller zu konsequentialistischen Entscheidungstheorien dienen,[26] die im späteren Text näher diskutiert werden.

Durch die Betrachtung der Lehre des gerechten Krieges als angewandte Militärethik wird das Verhalten des Militärs im Krieg auf moralischer Ebene reguliert. Dabei schließen sich unterschiedliche Ansätze innerhalb der Militärethik nicht unbedingt aus.

Es gibt mindestens zwei Gründe, die erklären, weshalb Streitkräfte ein Interesse daran haben sollten, moralisch zu handeln. Ein erster Grund umfasst ihre Haftbarkeit für Kriegsverbrechen. Ein zweiter Grund stellt ihre Verpflichtung zur Umsetzung der Genfer Konventionen dar. Innerhalb der Lehre des gerechten Krieges gibt es unterschiedliche Standpunkte zur Verantwortlichkeit von Militärangehörigen. Während im 16. Jahrhundert scholastische Vertreter:innen noch für die absolute Straffreiheit von Siegermächten und ihren Militärangehörigen nach Kriegsende plädierten,[27] nimmt die Komplexität der Debatte um die Haftbarkeit von Militärangehörigen heutzutage zu. Michael Walzer, Begründer der Lehre des gerechten Krieges, vertrat in dem Grundlagenwerk der Kriegsethik Just and Unjust Wars den Standpunkt, dass Militärangehörige straffrei bleiben sollten, wenn sie auf der legitimen Seite des Krieges kämpfen und den moralischen Kriterien der Kriegsführung, wie den in-bello-Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, Notwendigkeit oder Diskriminierung folgen.[28] Andererseits argumentieren Revisionist:innen wie Jeff McMahan für eine absolute Haftbarkeit der Militärangehörigen für ihre Kriegshandlungen – unabhängig davon, auf welcher Kriegsseite sie kämpfen.[29] Demnach tragen Militärangehörige die Verantwortung für ihr Handeln im Krieg, da sie über die finale Entscheidungsfreiheit über ihre Handlungen verfügen. Für ihre Kriegshandlungen sollten Militärangehörige Rechenschaft ablegen, zum Beispiel während Strafverfolgungen vor Gericht oder der historischen Aufarbeitung des Kriegsgeschehens.[30] Es existiert jedoch auch eine weitere kollektivistische Auffassung, dass Militärangehörige als Teil einer Befehlskette nicht für die Moralität des Krieges verantwortlich seien. In diesem Falle würden die moralischen Prinzipien auf individueller Ebene keine Anwendung finden. Kollektivt:innen bestreiten, dass Kriegshandlungen irreduzibel auf individuelle Handlungen sind.[31] Bei dem kollektivistischen Standpunkt wird die starke Hierarchie und Befehlskette in militärischen Bündnissen betont und besonderen Wert auf den Befehlsgehorsam der Streitkräfte sowie die hierarchische Kontrolle der Vorgesetzten gelegt. Die Verantwortung läge bei den Vorgesetzen, weniger bei individuellen Militärangehörigen.

Historische Ereignisse wie der Eichmann-Prozess zeigen auf, dass ein kollektivistischer Standpunkt schwer vertretbar istdass Krieg zwar eine kollektive Aufgabe sein kann, aber Entscheidungsträger:innen trotzdem in einigen Aspekten auf sich allein gestellt sind – nicht zuletzt in der strafrechtlichen Aufarbeitung. Das wird zum Beispiel in der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkrieges deutlich. Im Eichmann-Prozess im Jahr 1961 wurde der hochrangige SS-Beamte Adolf Eichmann angeklagt. Er bestritt dabei nicht nur seine Verantwortung innerhalb des Nazi-Regimes, sondern negierte auch seine Haftbarkeit. Dies illustrierte die Notwendigkeit, dass alle Entscheidungsträger:innen für ihre Handlungen während des Krieges zur Rechenschaft gezogen werden sollten, ohne die Möglichkeit, bezüglich der Verantwortung auf die Befehlskette zu verweisen.[32] Der Prozess trug dazu bei, die Haftbarkeit Militärangehöriger aller Ränge zu verdeutlichen und das Bewusstsein für die Verantwortung von Entscheidungen im Krieg zu schärfen. Er veranschaulicht zudem, dass individuelle Verantwortung nicht aufgrund der Komplexität von Kriegssituationen oder der Befehlskette relativiert werden kann.

Die Betrachtung des revisionistischen Standpunkts geht mit Konsequenzen für Streitkräfte einher. Somit tragen sie die persönliche Verantwortung für ihre Kriegshandlungen und müssen gegebenenfalls strafrechtlich zur Rechenschaft[33] gezogen werden, selbst wenn sie hauptsächlich den Befehlen ihrer Vorgesetzten folgten.[34] In Konsequenz bedeutet das, dass alle Militärangehörige ihre Handlungen im Krieg stets kritisch hinterfragen und ethische Grundsätze aufrechterhalten müssen. Für taktische Abwägungen wären Befehlshabende weiterhin zur Rechenschaft zu ziehen, da sie durch einen höheren Rang eine umfassendere Verantwortung für die Konsequenzen ihrer Befehle tragen.[35] Einzelne Streitkräfte sollten die Moralität ihrer Handlungen jedoch zumindest im rechtlichen Rahmen und nach gewöhnlichem Menschenverstand beurteilen. Auf diesen Aspekt wird am Ende des Beitrages noch genauer eingegangen.[36]

In Konsequenz bedeutet das, dass alle Militärangehörige ihre Handlungen im Krieg stets kritisch hinterfragen und ethische Grundsätze aufrechterhalten müssen.

Wenn Militärangehörige in letzter Instanz für ihre Kriegshandlungen verantwortlich sind, besteht auch ein Zusammenhang zwischen der moralischen Entscheidungsfindung individueller Militärangehöriger und der kollektiven Pflicht, eine humane Kriegsführung nach den Richtlinien der Genfer Konventionen zu wahren. Der Staat Österreich verpflichtete sich mit der Ratifizierung der Genfer Konventionen im Jahr 1949 der humanen Kriegsführung. In den Genfer Konventionen sind die Regeln und Prinzipien festgelegt, die in bewaffneten Konflikten zum Schutz von Zivilpersonen, verwundeten Militärangehörigen und Kriegsgefangenen gelten. Als Unterzeichnerstaat ist Österreich gebunden, die Bestimmungen zu respektieren und durchzusetzen.[37] In der Exekution des Kriegsrechts tragen die individuellen Militärangehörigen eine Teilverantwortung, die Prinzipien der Genfer Konventionen zu achten und in die Praxis umzusetzen. Das umfasst unter anderem die respektvolle Behandlung von Kriegsgefangenen und Zivilpersonen unter Einhaltung der Menschenrechte, die Vermeidung übermäßiger Gewaltanwendung und die Sicherstellung, dass zu Kriegszeiten keine grausame, unmenschliche oder erniedrigende Ausübung von Gewalt stattfindet.[38]

Ein Zusammenhang zwischen der Lehre des gerechten Krieges und dem internationalen humanitären Recht besteht darin, dass beide Normen und Prinzipien etablieren, die das Verhalten unterschiedlicher Akteure, wie Staaten, Streitkräfte und Zivilpersonen, in bewaffneten Konflikten regeln – einerseits auf moralischer, andererseits auf rechtlicher Ebene. Während die Lehre des gerechten Krieges ethische Überlegungen hinsichtlich der Rechtfertigung und Durchführung von Kriegen bietet, werden durch das internationale humanitäre Recht konkrete rechtliche Regeln festgelegt, die den Schutz von Zivilpersonen, Angehörige der Kampftruppen und anderen Beteiligten in Kriegen sicherstellen sollen. Die Lehre des gerechten Krieges beeinflusst in gewisser Weise die Entwicklung des humanitären internationalen Rechts, indem sie moralische Prinzipien bietet, die bei der Formulierung und Interpretation der Rechtsnormen berücksichtigt werden können. Gleichermaßen wird innerhalb der Lehre des gerechten Krieges wiederum auf rechtliche Unterscheidungen und Definitionen zurückgegriffen – beides konstituiert sich gegenseitig. Grundlegende moralische Prinzipien aus der Lehre des gerechten Krieges sind als historische Vorläufer in die Entwicklung wichtiger internationaler Verträge wie die UN-Charta oder die Genfer Konventionen eingeflossen und stammen vorwiegend aus westlich-christlichen Traditionen,[39] zum Beispiel den Werken von Francisco de Vitoria[40] und Augustinus oder Thomas von Aquin.[41] Die folgenden drei moralischen Grundprinzipien aus der Lehre des gerechten Krieges finden sich in veränderter Form auch in den Richtlinien über humane Kriegsführung wieder: Verhältnismäßigkeit, Notwendigkeit und Diskriminierung (in-bello-Prinzipien).

Ein Zusammenhang zwischen der Lehre des gerechten Krieges und dem internationalen humanitären Recht besteht darin, dass beide Normen und Prinzipien etablieren, die das Verhalten unterschiedlicher Akteure, wie Staaten, Streitkräfte und Zivilpersonen, in bewaffneten Konflikten regeln.

Anwendungsbeispiel

Kriegshandlungen könnten nach dendrei in-bello-Prinzipien auf ihre moralische Legitimität hin evaluiert werden. Ein Anwendungsbeispiel illustriert, wie die Lehre des gerechten Krieges dem Militär als Bereichsethik dienen kann, um die Moralität von Handlungen zu bestimmen.

Die gegnerische Truppe X nahm den Stützpunkt A ein, dessen Rückgewinnung elementar ist, um das Etappenziel zu gewinnen. Aus dem Grund muss Soldat Y offensiv handeln, beispielsweise ein legitimes Ziel X angreifen.

Erstens erfordert das Prinzip der Verhältnismäßigkeit, dass der erwartete militärische Nutzen einer Handlung in einem angemessenen Verhältnis zu den angewandten Mitteln stehen muss.[42] Dabei wird vorausgesetzt, dass jede Kriegshandlung zur Verteidigung genutzt wird, d. h. auf vorhergehende Angriffe reagiert. Nach dem auch genannten Proportionalitätsprinzip muss der einzunehmende Stützpunkt im Verhältnis zu den angewandten Mitteln, in diesem Fall den Einsatzkräften, stehen. Kriegshandlungen sind illegitim, wenn die erwarteten Schäden unverhältnismäßig zum erwarteten Nutzen sind.[43] Falls Soldat Y beispielsweise personelle Verluste in Kauf nehmen muss, um ein legitimes Ziel X beschießen zu können, sollte das Ziel ein dementsprechend wichtiger Schritt für das Erreichen des Etappenziels darstellen. Das Schadensausmaß des Ziels X darf nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit den Nutzen nicht übersteigen. Hierbei wird die Schwere der Gewalt, also die Mittel gegen den Schaden abgewogen, wie Helen Frowe verdeutlichte:

„(…) we have a sort of ranking of harms, whereby one can inflict a defensive harm that is greater than the threatened harm, but still comparable to the threatened harm. This would explain why I can break an attacker’s leg not only if he will otherwise break my leg, but also if he will otherwise break my arm or my ankle.“[44]

Nach dem auch genannten Proportionalitätsprinzip muss der einzunehmende Stützpunkt im Verhältnis zu den angewandten Mitteln, in diesem Fall den Einsatzkräften, stehen. Kriegshandlungen sind illegitim, wenn die erwarteten Schäden unverhältnismäßig zum erwarteten Nutzen sind.

Auch falls der Nutzen der Handlung die Mittel übersteigt, erscheinen die Mittel nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit nicht legitim, da sie nicht proportional zum erhofften Nutzen stehen.[45]

Zweitens wird durch die Berücksichtigung des Prinzips der Notwendigkeit sichergestellt, dass die Handlung zur Erreichung eines legitimen Ziels unvermeidbar ist. Auf einer taktischeren Ebene könnte Offizier Y die Notwendigkeit der Handlung infrage stellen. Wenn das nächste Ziel das Einnehmen des Stützpunktes A beinhaltet, sollte die Handlung der Militärangehörigen, Stützpunkt A zu zerstören, zum Ziel beitragen. Falls bekannt ist, dass die gegnerische Truppe ohnehin in den nächsten Tagen den Stützpunkt verlässt, scheint die Handlung nach dem Prinzip der Notwendigkeit nicht legitim zu sein, um das nächste Kriegsziel zu erreichen. Daher müsste sich Offizier Y nach diesem Prinzip zufolge gegen die Handlung entscheiden. Der verursachte Schaden darf das Ziel auch auf der Ebene eines Kampagnenplans nicht wesentlich überwiegen. Wenn der Stützpunkt aber für das übergreifende Ziel, zum Beispiel die Rückgewinnung der Stadt, unbedingt nötig ist, könnte nach dem Prinzip der Notwendigkeit die Anwendung von Gewalt legitim sein.

Zweitens wird durch die Berücksichtigung des Prinzips der Notwendigkeit sichergestellt, dass die Handlung zur Erreichung eines legitimen Ziels unvermeidbar ist.

Das gegebene Beispiel beinhaltet allerdings eine taktische Ebene, die nicht im Entscheidungsrahmen von Streitkräften niedriger Ränge liegt. Die in-bello-Prinzipien betreffen jedoch sowohl Entscheidungsträger:innen mit Führungsverantwortung, als auch Streitkräfte, die nicht in taktische Kriegsfragen involviert sind, aber dennoch im Rahmen ihrer individuellen Kriegshandlungen die Prinzipien der Lehre des gerechten Krieges anwenden können. Helen Frowe übertrug das Prinzip der Notwendigkeit auf die Ebene individueller Militärangehöriger:

„If I can prevent you from killing me either by stamping on your foot or by shooting you in the chest, morality requires that I choose the least harmful means and stamp on your foot.“[46]

Nach Frowes Interpretation gibt das Prinzip der Notwendigkeit vor, dass so wenig Gewalt wie nötig angewendet werden sollte, um ein Ziel zu erreichen. Es darf demnach höchstens mit den Mitteln zurückgeschlagen werden, die der Bedrohung oder der Anwendung von Gewalt gleichkommen. Soldat Y dürfte bei einer tödlichen Gefahr, ausgehend von Soldat X, folglich notfalls mit derselben Gewalt antworten. Wenn es einen anderen Weg zum Erreichen des Ziels gäbe, müsse jedoch das Mittel gewählt werden, das die geringste Anwendung von Gewalt erfordert.

Drittens erfordert das Prinzip der Diskriminierung die Unterscheidung zwischen zwei Personengruppen: Kombattant:innen und Nicht-Kombattant:innen. Dabei ist zu beachten, dass auch Militärangehörigen aufgrund von Verletzungen oder besonderen Pflichten ein Schutzstatus zugesprochen wird. Hierbei wird auf die Unterscheidung des internationalen humanitären Rechts zurückgegriffen.[47] Daher wird nicht zwischen Zivilpersonen und Militärangehörigen unterschieden, sondern die Unterscheidung wird anhand der Rolle getroffen, die die jeweiligen Personen im Krieg spielen – als Kombattant:innen oder Nicht-Kombattant:innen. Laut dem Prinzip der Diskriminierung müssen Militärangehörige zwischen legitimen und illegitimen Zielen unterscheiden, um moralisch richtig zu handeln. Je nach Rolle, die ihnen im Krieg zukommt, werden Personen zu legitimen oder nicht legitimen Zielen. Die Unterscheidung kann allerdings mit Schwierigkeiten verbunden sein, wie das folgende Zitat im Falle der burmesischen Militärjunta illustriert:

„Of course, some state leaders, such as Burma’s military rulers, clearly identify themselves as part of the armed forces, and most state leaders have ultimate authority over their armed forces. But even those politicians without military roots or affiliation can be legitimate targets if they are instrumental in orchestrating the war. And some members of the military, such as doctors and clergy, are not legitimate targets and are not counted as combatants for the purposes of jus in bello. These people are deemed to perform civilian roles and are legally protected from attack (although military doctors are allowed to be armed in order to defend themselves). One is permitted to kill ‘active’ combatants (i.e., those who are not hors de combat through surrender, capture or injury) whenever doing so would afford a military advantage.“[48]

Drittens erfordert das Prinzip der Diskriminierung die Unterscheidung zwischen zwei Personengruppen: Kombattant:innen und Nicht-Kombattant:innen.

Zwar könnten medizinisches Personal, Gefangene oder Verletzte gleichzeitig Streitkräfte sein, da sie aber keine aktive Rolle im Kriegsgeschehen spielen, kommt ihnen derselbe moralische Status wie Nicht-Kombattant:innen zu. Gleichzeitig ist nach dem Prinzip der Diskriminierung sicherzustellen, dass keine ungerechtfertigten Schäden für an dem Konflikt Unbeteiligte verursacht werden. Wenn absehbar ist, dass eine Handlung Unbeteiligte, Unschuldige oder verwundete Militärangehörige, kurz – Nicht-Kombattant:innen, schädigt, darf sie nicht ausgeführt werden.

Die in-bello-Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, Notwendigkeit und Diskriminierung könnten in einer Entscheidungssituation im Krieg als Leitlinien dienen.[49] Dabei wird keinem der drei Prinzipien im Entscheidungsfindungsprozess Priorität zugesprochen.[50] Sie wiegen gleich viel und setzen die Androhung einer mindestens ebenso großen Gewalt voraus.[51] Sobald eine Handlung gegen eines der Prinzipien verstößt, darf sie nicht ausgeführt werden. Wenn Streitkräfte aber die Notwendigkeit ihrer Handlung hinterfragen, die Verhältnismäßigkeit ihrer Aktionen abwägen und sicherstellen, dass ihre Handlung nach dem Diskriminierungsprinzip keine ungerechtfertigten Schäden an unbeteiligten Zivilpersonen verursacht, dürfen Sie eine Handlung ausführen. Indem Militärangehörige die Kriterien sorgfältig in eigene Entscheidungsprozesse integrieren, können sie trotz manipulierter Informationen moralisch fundierte Entscheidungen treffen, moralisch legitim handeln und zudem einen Beitrag zur Erhaltung einer humanen Kriegsführung leisten.[52]

Die in-bello-Prinzipien der Verhältnismäßigkeit, Notwendigkeit und Diskriminierung könnten in einer Entscheidungssituation im Krieg als Leitlinien dienen. Dabei wird keinem der drei Prinzipien im Entscheidungsfindungsprozess Priorität zugesprochen.

Realismuskritik an der Lehre des gerechten Krieges als Militärethik

Der Vorschlag, die Lehre des gerechten Krieges als Militärethik zu betrachten, ist nicht von Kritik befreit. Mindestens zwei realistische Kritikpunkte beziehen sich auf die Komplexität des Vorschlags. Einerseits wird die übermäßige Komplexität der moralischen Prinzipien bemängelt, andererseits wird die Überforderung der Militärangehörigen befürchtet.

Der erste Kritikpunkt bemängelt die Vereinfachung der Kriegsszenarien. Durch die Anwendungsbeispiele der drei in-bello-Prinzipien würde die komplexe Realität des Krieges und einhergehende Dilemmata nicht erfasst. Zudem beinhaltet dieser Kritikpunkt die Ansicht, dass Entscheidungen nicht ausschließlich aufgrund moralischer Prinzipien gefällt werden. Entscheidungsprozesse seien außerordentlich komplex, wobei die Situationen in den Beispielen zur Beleuchtung moralischer Aspekte reduziert werden. Schematisch dargestellte Szenarien werfen weitere komplexere moralischen Fragen auf, zum Beispiel bis zu welchem Grad das Prinzip der Diskriminierung gilt, wenn Zivilpersonen absichtlich aktive Maßnahmen setzen, um Kriegshandlungen zu vereiteln, wie es in Fällen menschlicher Schilde denkbar wäre.[53]

Viele solcher weiterführenden Szenarien werden von Vertreter:innen der Lehre des gerechten Kriegesbereits ausführlich diskutiert.[54] Zudem gibt es zahlreiche weitere Prinzipien, aufgrund derer eine Handlung bewertet werden kann.[55] Die drei dargestellten in-bello-Prinzipien sind grundlegende moralische Kriegsprinzipien, von denen sich weitere Handlungsanweisungen ableiten lassen, die wiederum die Komplexität von Kriegsszenarien besser erfassen können. Nichtsdestotrotz bieten die drei moralischen Argumente eine wichtige Grundlage für die Beurteilung der Moralität einer Handlung, nicht zuletzt, weil sie bereits Anklang im internationalen humanitären Recht fanden, wie die Minimalisierung von Kollateralschäden (Prinzip der Notwendigkeit) oder die Immunität von Zivilpersonen (Prinzip der Diskriminierung).

Die Anwendung moralischer Grundprinzipien stellt außerdem ausschließlich den Anspruch, Militärangehörige situativ darin zu unterstützen, moralische Entscheidungen zu treffen. Anthony Pfaff kritisierte, dass insbesondere konsequentialistische Entscheidungstheorien nicht alle Kriegsszenarien abdecken können.[56] Außerdem fließen Faktoren wie Zeit, Hierarchien, Erfüllung der Kriegsziele, Strategien und Taktiken ebenfalls in die Entscheidungsfindung mit ein. Das International Committee of the Red Cross (ICRC) stellt eine Reihe wichtiger zusätzlicher Überlegungen an, welche Faktoren Militärangehörige in ihren Entscheidungsprozesse inkludieren sollten und wie Entscheidungen evaluiert werden könnten.[57] Auch ethische und religiöse Beratungsstellen[58] sowie klare Anweisungen und Aufklärung seitens der Vorgesetzten helfen, Militärangehörige in Entscheidungsprozessen zu unterstützen.[59]

Die Anwendung moralischer Grundprinzipien stellt außerdem ausschließlich den Anspruch, Militärangehörige situativ darin zu unterstützen, moralische Entscheidungen zu treffen.

Durch den zweiten Kritikpunkt wird die Komplexität der moralischen Prinzipien bemängelt. Er beanstandet, dass die Lehre des gerechten Krieges Streitkräfte überlaste und diese moralischen Überlegungen im Extremfall eine Handlungsunfähigkeit verursachen, wenn Militärangehörige aller Ränge kriegsethische Fragen abwägen müssen. Die Abwägung der moralischen Entscheidungsprinzipien stelle eine zu komplexe kognitive Aufgabe in Kriegssituationen dar, da es in Extremsituationen keine Zeit zum Zögern und Abwägen gebe.

Handeln ist nicht nur in Kriegssituationen stets mit der Abwägung von Entscheidungen verbunden. Auch in Alltagshandlungen werden Wahrscheinlichkeiten und Schätzungen angestellt, um eine Handlung moralisch zu beurteilen. Ein epistemischer Skeptizismus zu Kriegszeiten sollte Militärangehörige daher nicht von ihren Handlungen abhalten, da sie nicht nur Informationen der gegnerischen Seite, sondern auch taktische, operative beziehungsweise strategische Ziele in ihre Entscheidungsfindung einbeziehen müssen. Es ist Teil ihrer Berufsverpflichtung, für die Kriegsziele zu kämpfen und dazu gehört, in Notsituationen und unter unsicheren Gegebenheiten zu entscheiden.

Die Kritik scheint hauptsächlich Streitkräfte niedrigerer Ränge zu betreffen, da von Kombattant:innen ab Brigadeebene eine Abwägungsfähigkeit, eine Beratungsunterstützung sowie mehr Zeit für taktische Überlegungen zu erwarten ist. Doch auch in Bezug auf Rekrut:innen scheinen die mit dem zweiten Kritikpunkt assoziierten Ansichten ihre moralische Urteilsfähigkeit zu unterschätzen. Militärangehörige in niedrigen Rängen müssen nicht die Moralität von Kriegstaktikenhinterfragen, sondern treffen Entscheidungen innerhalb ihres eigenen Handlungsrahmens.[60] Die drei vorgestellten in-bello-Prinzipien stellen eine Mindestvoraussetzung für eine moralische Kriegsführung dar, die kein komplexes Denken erfordert. Von Militärangehörigen wird lediglich erwartet, dass sie als durchschnittlich vernünftige Menschen unter den vorliegenden Umständen erkennen, ob eine Handlung unrechtmäßig und gegebenenfalls gesetzeswidrig ist – auch in bewaffneten Konflikten.[61]

Zusammenfassend bietet die Realismuskritik in beiden Fällen keinen ausreichenden Grund, dass Streitkräfte nicht auch die Moralität ihrer Handlungen reflektieren sollten. Im folgenden Ausblick wird der Vorschlag eingebracht, die moralischen Prinzipien zur Anwendung zu bringen und die Lehre des gerechten Krieges als Militärethik zu verstehen. Ein nächster Schritt wäre, Militärangehörige in der moralischen Entscheidungsfindung zu schulen, um sie auf die kognitive Kriegsführung vorzubereiten.

Ausblick

Wie kann die Lehre des gerechten Krieges Militärangehörige auf die Herausforderungen kognitiver Kriegsführung vorbereiten?

Kognitive Kriegsführung stellt Entscheidungsträger:innen vor die Herausforderung, manipulierte Informationslagen zu bewältigen. In diesem Kontext werden Informationen als ‚taktische Waffe‘ eingesetzt, was das Potenzial birgt, das Denken, die Entscheidungsprozesse und das Handeln von Streitkräften zu beeinflussen.

Kognitive Kriegsführung stellt Entscheidungsträger:innen vor die Herausforderung, manipulierte Informationslagen zu bewältigen. In diesem Kontext werden Informationen als ‚taktische Waffe‘ eingesetzt.

Im Beitrag wurde die Notwendigkeit betont, im Krieg moralisch zu handeln. Da Streitkräfte in letzter Instanz über Entscheidungsfreiheit verfügen, sind sie für Ihre Handlungen verantwortlich. Außerdem sind sie als exekutive Kraft für die Umsetzung der Genfer Konventionen verpflichtet. Es wurde mithilfe grundlegender in-bello-Prinzipien anhand der Verhältnismäßigkeit, Proportionalität und Notwendigkeit veranschaulicht, wie Entscheidungen moralisch beurteilt werden können. Da die dargestellten Prinzipien aus der Lehre des gerechten Krieges auch in den Genfer Konventionen Anwendung finden, könnten sie helfen, Kriegshandlungen moralisch zu bewerten.

Die Lehre des gerechten Krieges kann dem Militär als Bereichsethik dienen, beispielsweise indem sie Militärangehörige bei der Entscheidungsfindung auf der Grundlage ethischer Standards unterstützt. Als Bestandteil der Militärethik, genauer noch als Entscheidungstheorie, trägt sie dazu bei, Entscheidungen im Kontext kognitiver Kriegsführung zu erleichtern, indem sie die Moralität von Handlungen bewertet und im weiteren Sinne die Handlungsfähigkeit der Streitkräfte auf moralischer Ebene festigt.

Die Schulung von Militärangehörigen in der Lehre des gerechten Krieges, wie es u. a. bereits in Militärausbildungen in den USA praktiziert wird,[62] ist eine mögliche Maßnahme zur Vorbereitung auf die Herausforderungen kognitiver Kriegsführung. Die kritische Auseinandersetzung über die Moralität von Handlungen stellt ein Instrument dar, um mit kognitiver Beeinflussung umzugehen. Die Einbeziehung von Bereichsethiken als fester Bestandteil in die Lehrpläne militärischer Ausbildungen befähigt Entscheidungsträger:innen, moralisch fundierte Entscheidungen im Krieg zu treffen und ihre Handlungen in Einklang mit ethischen Normen zu bringen, zu denen sie nach den Genfer Konventionen verpflichtet sind.


Lisa Maren Tragbar; Forschungsinteresse in Angewandter Ethik, Politischer Philosophie, Kriegs- und Friedensethik sowie der Lehre des gerechten Krieges. Die in diesem Artikel enthaltenen Ansichten sind die der Autorin und stellen nicht die Ansichten des Instituts für Philosophie der Universität Wien dar.


[1] Kognitive Kriegsführung nutzt moderne Mittel des Informationskriegs, die bisher rechtlich unzureichend reguliert sind. Im Gegensatz zur herkömmlichen Kriegsgewalt erfolgt dabei keine direkte, physische Gewaltanwendung. Das stellt eine Herausforderung für das internationale Recht dar. Die Rechtslage zur physischen Verteidigung bei Cyberangriffen ist komplex und hängt von den Auswirkungen des Angriffs ab. In der UN-Charta beispielsweise fehlt es an spezifischen Regelungen zur kognitiven Beeinflussung von Gegnern, obwohl diese Art der Kriegsführung bereits eine bedeutende Rolle in modernen Konflikten spielt. Zwar ist der Cyberspace nunmehr eine anerkannte militärische Domäne, es benötigt allerdings eine klare Rechtslage hinsichtlich kognitiver Kriegsführung. Lea Kristina Bjørgul, “Cognitive warfare and the use of force,” November 03, 2021. URL: https://www.stratagem.no/cognitive-warfare-and-the-use-of-force/ zuletzt aufgerufen am August 08, 2023, Vereinte Nationen: “Charta der Vereinten Nationen und Statut des Internationalen Gerichtshofs,“ 1945, http://dag.un.org/handle/11176/387335, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[2] Georg Kunovjanek, “Vom Wert der Information im Krieg,“ In: Defense Horizon Journal 2021, https://www.thedefencehorizon.org/post/vom-wert-der-information-im-krieg?lang=de, zuletzt aufgerufen am August 06, 2023.

[3] Megan Burns, “Information Warfare: What and How?,” CS.CMU, Carnegie Mellon University, 1999, www.cs.cmu.edu.html, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[4] Idem.

[5] Cathy Cao et al., “Countering cognitive warfare: awareness and resilience,” NATO Review, May 20, 2021, https://www.nato.int/docu/review/articles/2021/05/20/countering-cognitive-warfare-awareness-and-resilience/index.html, zuletzt aufgerufen am August 09, 2023.

[6] Paul Ottewell, “Defining the Cognitive Domain,” OTH, December 07, 2020, https://overthehorizonmdos.wpcomstaging.com/2020/12/07/defining-the-cognitive-domain/, zuletzt aufgerufen am August 07, 2023.

[7] Georg Kunovjanek, “Vom Wert der Information im Krieg,“ In: Defense Horizon Journal 2021, https://www.thedefencehorizon.org/post/vom-wert-der-information-im-krieg?lang=de, zuletzt aufgerufen am August 06, 2023.

[8] Idem.

[9] Für einen Überblick an Techniken, Strategien und Kriegsmitteln in Informationskriegen siehe Megan Burns, “Information Warfare: What and How?,” CS.CMU, Carnegie Mellon University, 1999, www.cs.cmu.edu.html, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[10] Paul Ottewell, “Defining the Cognitive Domain,” OTH, December 07, 2020, https://overthehorizonmdos.wpcomstaging.com/2020/12/07/defining-the-cognitive-domain/, zuletzt aufgerufen am August 07, 2023.

[11] Nils Metzger, “Heftige Kritik an Kriegsführung. Putins Problem mit den Propaganda-Bloggern,“ ZDF, November 21, 2022, https://www.zdf.de/nachrichten/politik/putin-propaganda-blogger-kritik-ukraine-krieg-russland-100.html, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[12] Magnus-Sebastian Kutz, Öffentlichkeitsarbeit in Kriegen. Legitimation von Kosovo-, Afghanistan- und Irakkrieg in Deutschland und den USA (Hamburg: Springer 2014), 36.

[13] Ibid., 46.

[14] Lea Kristina Bjørgul, “Cognitive warfare and the use of force,” November 03, 2021, https://www.stratagem.no/cognitive-warfare-and-the-use-of-force/, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[15] Dass manche Medien- und Informationskanäle nicht nur nationalen Räumen zuzuordnen sind und teilweise von beiden Kriegsseiten genutzt, verkompliziert das Unterfangen.

[16] Justin Sherman, Russia’s Internet Censor is Also a Surveillance Machine, September 28, 2022, 11:47, https://www.cfr.org/blog/russias-internet-censor-also-surveillance-machine, zuletzt abgerufen am September 19, 2023.

[17] Kenneth Geers (Ed.), Cyber War in Perspective: Russian Aggression against Ukraine,

(NATO CCD COE Publications, Tallinn 2015).

[18] Benjamin D. King, “Would Armed Humanitarian Intervention Have Been Justified to Protect the Rohingyas?,” Journal of Military Ethics 19/2020(4), 269–284; France24, “Ethiopia’s warring sides locked in disinformation battle,” Dezember 21, 2021, 15:22, https://www.france24.com/en/live-news/20211222-ethiopia-s-warring-sides-locked-in-disinformation-battle, zuletzt aufgerufen am August 08, 2023.

[19] Im Anschluss an Andersson verstehe ich kritisches Denken in Kriegszeiten als eine reflektive Fähigkeit über den Wahrheitsgehalts einer gegebenen Information: „critical thinking as a skill to reveal hidden meanings, to see through propaganda and flawed arguments. In other words, a critical thinking that asks people to doubt what they see.” Linus Andersson, It’s Critical: The Role of Critical Thinking in Media and Information Literary,” Media Education Research Journal 10, Nr. 1+2, (2021), 1-3.

[20] Seth Lazar, “War,“ In: (Edward N. Zalta (Ed.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy, (2016) https://plato.stanford.edu/entries/war/, zuletzt aufgerufen am August 02, 2023.

[21] In der Lehre des gerechten Krieges wird zwischen dem ius ad bellum (Recht vor Kriegsende) und dem ius in bello (Recht im Krieg) unterschieden. Jüngere Ansätze bieten ein ius post bellum (Recht nach Kriegsende) und ein ius terminatio (Recht zu Kriegsende) an. Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction, (New York: Routledge 20152), 5.

[22] Während die meisten ad bellum Voraussetzungen von politischen Entscheidungsträger:innen evaluiert werden, kommen Streitkräften vor Kriegsbeginn wenig Entscheidungsmöglichkeiten zu. Falls sie über ihre Einberufung entscheiden können, könnten sie anhand der ad bellum Prinzipien des gerechten Krieges überlegen, ob die eigene Nation auf der legitimen Kriegsseite kämpft. Daher fokussiert sich dieser Text auf das Handeln im Krieg (in bello). Michael Walzer, Just and Unjust Wars. An Argument With Historical Illustrations (New York: Basic Books 19958).

[23] Angela Kallhoff, Thomas Schulte-Umberg, „Neues zur Theorie des Gerechten Krieges: Die Wende zum Soldaten und Fragen der Kriegsmoral,“ Deutsche Zeitschrift für Philosophie 65, Nr. 4 (2017), 763.

[24] Der Sammelband von David Rodin und Henry Shue hat zum Soldier’s turn innerhalb der Lehre des gerechten Krieges beigetragen. David Rodin, Henry Shue (Hg.), Just and Unjust Warriors: The Moral and Legal Status of Soldiers (Oxford: Oxford University Press 2010).

[25] Ein rezenter Artikel von Anthony Pfaff spricht sich für tugendethische Ansätze aus, welche den Fokus auf die Handelnden und nicht primär die Handlung legen. Ihm zufolge kann eine militärische Tugendethik die Lücke zwischen Prinzipien- und konsequentialistischen Ansätzen schließen und die notwendigen Ressourcen bereitstellen um ansonsten unlösbare ethische Dilemmata, die bei Militäroperationen auftreten können, zu vermeiden. Anthony C. Pfaff, “Virtue and Applied Military Ethics: Understanding Character-Based Approaches to Professional Military Ethics,” Journal of Military Ethics, (2023): 4.

[26] In diesem Rahmen finden nur überblickartige Beispiele Anwendung. In bello Prinzipien können nicht in allen Situationen eine klare Orientierung bieten. So können sich Soldat:innen zu Kriegszeiten in tragischen Dilemmasituationen befinden, in denen ihnen jede Handlung von Just War Prinzipien untersagt würde. (In Anlehnung an Martha Nussbaum, “The Costs of Tragedy: Some Moral Limits of Cost‐Benefit Analysis”, The Journal of legal studies, 29 (2) (2002), 1005–1036.

[27] Francisco de Vitoria, “De iure belli. Über das Kriegsrecht,“ In: Ulrich Horst, Heinz-Gerhard Justenhoven, Joachim Stüben (Hg.): Vorlesungen II. Völkerrecht, Politik, Kirche = Relectiones. (Stuttgart/Berlin/Köln: Kohlhammer 1997), 591.

[28] Michael Walzer, Just and Unjust Wars. An Argument With Historical Illustrations (New York: Basic Books 19958), 438.

[29] Seth Lazar, “The Responsibility Dilemma for Killing in War: A Review Essay,“ Philosophy Public Affairs 38, no. 2 (2010), 187, Jeff McMahan, “The Basis of Moral Liability to Defensive Killing,” Philosophical Issues 15 (2005), 386–405, Jeff McMahan, Killing in War (Oxford: Oxford University Press, 2009).

[30] Davida E Kellogg, “Jus Post Bellum: The Importance of War Crimes Trials“, in: The US Army War College Quarterly: Parameters 32 (3), 2002, 95

[31] Seth Lazar, “War,” In: Edward N. Zalta (Ed.): The Stanford Encyclopedia of Philosophy, (2016) https://plato.stanford.edu/entries/war/, zuletzt aufgerufen am August 02, 2023.

[32] Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (München: Piper, 2010).

[33] An dieser Stelle werde ich nicht näher in die tiefgreifende Diskussion über rechtsphilosophische Fragen wie die absolute Haftbarkeit von Militärangehörige und das Verhältnis von Moral und Recht einsteigen, da es hier nicht mein Ziel ist, mich für ein bestimmtes Strafmaß auszusprechen oder für eine Straffreiheit von Militärangehörigen unter bestimmten Bedingungen zu argumentieren. Hier möchte ich lediglich den normativen Standpunkt festhalten, dass handlungsfähige Streitkräfte für ihre Handlungen verantwortlich sein sollten. Weiterführende Literatur zu dem Thema findet sich insbesondere in Seth Lazar, “The Responsibility Dilemma for Killing in War: A Review Essay,“ Philosophy Public Affairs 38, no. 2 (2010): 180–213 und Jeff McMahan, “The Basis of Moral Liability to Defensive Killing,” Philosophical Issues 15 (2005), 386–405.

[34] Hannah Arendt, Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen (München: Piper, 2010).

[35] Michael Walzer, Just and Unjust Wars. An Argument With Historical Illustrations (New York: Basic Books 19958), 988.

[36] Ibid., 977.

[37] Genfer Abkommen zum Schutze der Opfer des Krieges, “Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. August 1949,“ StF: BGBl. Nr. 155/1953 (NR: GP VII RV 66 AB 119 S. 15. BR: 86) https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=1000025, zuletzt aufgerufen am Juli 26, 2023.

[38] Ibid.

[39] François Bugnion: “Just Wars, wars of aggression and international humanitarian law,“ International Review of the Red Cross, 84, Nr. 847 (2002), 528.

[40] In einer Rede vor der UN-Generalversammlung vom 18.04.2008 bezeichnete Papst Benedikt XVI. Francisco de Vitoria als ‚Vorreiter der Idee der Vereinten Nationen‘, nicht zuletzt, weil er die Grundlage der Lehre des gerechten Krieges systematisierte und die Grundlage für eine internationale Ordnung schuf, deren Aufgabe es ist, die Beziehungen zwischen den Völkern zu regulieren. UN General Assembly, “Pope Benedict VVI urges world leaders to ‘act jointly’ on global problems, support institutions that promote ‘common good’ in general assembly address”, GA/10705, April 18, 2008, https://www.press.un.org/en/2008/ga10705.doc.htm, zuletzt aufgerufen am August 03, 2023.

[41] Jan-Andres Schulze, Der Irak-Krieg 2003 im Lichte der Wiederkehr des gerechten Krieges. (Berlin: Duncker & Humblot 2011), 13.

[42] Alex Bellamy, Just Wars. From Cicero to Iraq. (Cambridge: Polity Press 2008), 38.

[43] Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit könnte dahingehend kritisiert werden, dass es zu viel Entscheidungsspielraum lässt. Wie viel Risiko Soldat:innen im Kriegsgeschehen genau eingehen sollten, beschreibt Uzan 2016 mithilfe seines Proportionalitätskalküls. Elad Uzan, “Soldiers, Civilians, and „in Bello“ Proportionality: A Proposed Revision,” The Monist 99, no. 1 (2016): 87–96.

[44] Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 10.

[45] Ibid., 10-11; Michael Walzer, Just and Unjust Wars. An Argument With Historical Illustrations (New York: Basic Books 19958), 138–159; Brian Orend, The Morality of War. (Peterborough: Broadview Press 2006), 105–137.

[46] Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 11–12.

[47] Seth Lazar, “Evaluating the Revisionist Critique of Just War Theory“, in: Daedalus 146 (1), 2017, 114.

[48] Michael Walzer, Just and Unjust Wars. An Argument With Historical Illustrations (New York: Basic Books 19958), 138–159; Brian Orend, The Morality of War. (Peterborough: Broadview Press 2006), 108.

[49] Michael Walzer, “The Triumph of Just War Theory (and the Dangers of Success),” Social Research 69, no. 4 (2002), 929-931, Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 98-118.

[50] Alle Prinzipien sind Mindestvoraussetzungen, da sie Streitkräften hauptsächlich negative Pflichten aufbürden. Während negative Pflichten darauf aus sind, keinen überflüssigen Schaden zu verursachen, beinhalten positive Pflichten die Förderung des Wohls anderer und erfordern aktives Handeln, beispielsweise das Versorgen von Verwundeten oder das Teilen von Ressourcen mit Zivilpersonen. Eine Handlung kann im Rahmen der Lehre des gerechten Krieges bereits gerecht sein, wenn sie nur den minimalen Anforderungen entspricht.

[51] Eine ad bellum Voraussetzung für die legitime Anwendung von Gewalt ist u.a. die Verteidigung von Unrecht – alle in bello Handlungen dürfen also nur im Falle einer Verteidigung ausgeübt werden. Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 32.

[52] “The principle is this: when it is our action that puts innocent people at risk, even if the action is justified, we are bound to do what we can to reduce those risks, even if this involves risks to our own soldiers.” Michael Walzer, “The Triumph of Just War Theory (and the Dangers of Success),” Social Research 69, no. 4 (2002), 937.

[53] Zur Debatte um human shields siehe Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 153-157.

[54] Um hier nur außerhalb der bereits zitierten Werke einige wichtige Werke ohne den Anspruch auf Vollständigkeit aufzuzählen: Saba Bazargan, „Complicitous liability in war“, Philosophical Studies 165, no. 1 (2013), 177–195, Helen Frowe, Gerald Lang (Hg.), How We Fight: Ethics in War, (Oxford: Oxford Univ. Press 2014), Brian Orend, The Morality of War. (Peterborough: Broadview Press 2006), David Rodin, War and Self-Defense. (Oxford: Oxford Univ. Press 2004), Stahn, Carsten, Jennifer Easterday, Jens Iverson (Hg.): Jus Post Bellum: Mapping the Normative Foundations. o. O.: (Oxford: Oxford University Press 2014).

[55] Zum Vorsorgeprinzip oder das Prinzip des vorhersehbaren Schadens siehe Helen Frowe, The Ethics of War and Peace. An Introduction. (New York: Routledge 20152), 148-151.

[56] Wenn Streitkräfte vor tragischen Entscheidungen stehen, bei denen sämtliche möglichen Ergebnisse unmoralisch sind und sie dem Dilemma nicht entkommen können, können konsequentialistische Ansätze das Dilemma nicht lösen. Anthony C. Pfaff, “Virtue and Applied Military Ethics: Understanding Character-Based Approaches to Professional Military Ethics,” Journal of Military Ethics, (2023): 3.

[57] International Committee of the Red Cross (ICRC), “Decision-Making Process in Military Combat Operations,” Geneva 2013, https://www.icrc.org/en/doc/assets/files/publications/icrc-002-4120.pdf, zuletzt aufgerufen am Juli 28, 2023, 7-51.

[58] Ralph Schöppner, Leiter der Humanistischen Akademie Deutschland, setzt sich im deutschen Bundestag für den Ethikunterricht im deutschen Bundesheer ein, um das moralische Urteilsvermögen auch für konfessionsfreie Streitkräfte im lebenkundlichen Unterricht (LKU) zu garantieren. Lucas Wiegelmann, „Neue Ethik-Dienstvorschrift der Bundeswehr: Truppe sucht Moral“, Herder Korrespondenz 1/2019, 46-47, https://www.herder.de/hk/hefte/archiv/2019/1-2019/truppe-sucht-moral-neue-ethik-dienstvorschrift-der-bundeswehr, aufgerufen am September 19, 2023.

[59] Constantinos Athanasopoulos schlägt vor, dass der Sensus Communis Philosophicus, den er als Ausgangspunkt für die Entwicklung der Genfer Konventionen ansieht, nicht in rationalen – d.h. in seinem Verständnis in universellen, konsequentialistischen oder utilitaristischen Prinzipien verankert ist, sondern auf tugendethischen Ethiken basiert. Constantinos Athanasopoulos: “The Ethical Problems of Sensus Communis Philosophicus: Reflections on McKeon,” Pluralism in Europe? Societas Ethica, Jahrestagung Ljubljana 2004.

[60] Michael Walzer erklärt, dass sich ‘gewöhnliche’ Streitkräfte den Anweisungen ihrer Kommandant:innen widersetzen sollten, wenn sie gegen grundlegende ethische Prinzipien verstoßen: „When we judge soldiers we must balance the necessities of military discipline (that obedience be quick and unquestioning) against the requirements of humanity (that innocent people be protected),” Walzer 1995, 973.

[61] Ibid., 975.

[62] Anthony E. Hartle, Moral Issues in Military Decision Making. (Lawrence: University Press of Kansas 1989), Michael Walzer, “The Triumph of Just War Theory (and the Dangers of Success),” Social Research 69, no. 4 (2002), 929.

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